Energie- und Klimapolitik: Die Highlights des Koalitionsvertrags
Ein Ausstieg aus der Kohle bis "möglichst" 2030, neue H2-ready Gaskraftwerke, eine schnelle Abschaffung der EEG-Umlage, nahezu eine Verdopplung der EEG-Ausbauziele und perspektivisch das Ende der finanziellen Förderung von erneuerbarem Strom. Die Ampelkoalition aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung unter der Überschrift „Mehr Fortschritt wagen“ hohe Ziele gesteckt.
Das neue alte Ziel: 1,5 Grad
Dabei halten die Koalitionsparteien an bereits vereinbarten Zielen fest, insbesondere dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens und dem Ziel des Klimaschutzgesetzes, wonach die deutschen Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 65 Prozent sinken sollen. Auch der Ausstieg aus der Kernkraft soll, wie geplant, bis Ende 2022 abgeschlossen werden.
Eine Vision für 2030
Auch wenn die Parteien an den bestehenden Klimazielen festhalten, räumen sie ein, dass Deutschland derzeit nicht genug tut, um diese zu erreichen. Nicht zuletzt mit Blick auf das kürzlich ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Gesetzgebers die Last der Emissionseinsparungen nicht vor allem auf die Schultern der jüngeren Generation legen darf, entwickelt der Koalitionsvertrag eine Vision für das Jahr 2030. Bis dahin
- soll die Stromerzeugung aus Kohle „idealerweise“ beendet werden – und nicht erst 2038, wie bislang im Kohleausstiegsgesetz vorgesehen,
- soll Deutschland ein Leitmarkt für Wasserstofftechnologien mit einer Wasserstoffproduktionskapazität von 10 GW (derzeitige Planung: 5 GW) werden,
- sollen 15 Millionen vollelektrische Pkw auf deutschen Straßen fahren (derzeitige Planung: 7 bis 10 Millionen),
- sollen eine Million Ladepunkte in Deutschland öffentlich zugänglich sein (Stand 2021: 44.000),
- soll 50 Prozent der Wärme klimaneutral erzeugt werden und
- 75 Prozent des Schienennetzes elektrifiziert sein (Stand 2021: 61 Prozent).
Dabei gehen die Koalitionsparteien von einem gegenüber den letzten Schätzungen des BMWi noch einmal erhöhten Bruttostromverbrauch von 680 bis 750 TWh im Jahr 2030 aus. 80 Prozent des Bedarfs sollen durch erneuerbare Energien gedeckt werden, der im Jahr 2030
- mit 200 GW installierter Kapazität zu einem Großteil aus Solaranlagen abgedeckt werden soll,
- flankiert von 30 GW aus Windenergieanlagen auf See (40 GW bis 2035 und 70 GW bis 2045).
- Rechnerisch verbleibt damit ein Anteil für Windenergieanlagen an Land von 98 bis 124 GW (nach Berechnungen des bdew).
Was ist geplant?
Um die Emissionen zu senken und die Produktion von erneuerbaren Energien und Wasserstoff zu steigern, braucht es Platz für den Aufbau zusätzlicher Erzeugungs- und Netzkapazitäten, Anreize für Investoren und nicht zuletzt die Beseitigung regulatorischer Hindernisse. Die Koalitionsparteien schlagen vor, diese – bei weitem nicht neuen – Erfordernisse mit den folgenden Maßnahmen anzugehen:
Klima-Check für neue Gesetze
Bei der Erarbeitung neuer Gesetze sollten die Ministerien ihre Überlegungen zu den Klimaauswirkungen und zur Vereinbarkeit mit den nationalen Klimazielen in die Begründung des Gesetzentwurfs aufnehmen (sog. Klima-Check).
Mehr Platz aber weniger Vergütung für erneuerbare Energien
Um mehr Platz für die Erzeugung erneuerbarer Energien zu schaffen, wollen die Parteien
- alle geeigneten Dachflächen für Solarenergie nutzen. Die Installation von Solaranlagen soll für gewerbliche Neubauten verpflichtend und für Privatpersonen „die Regel“ sein,
- 2 Prozent der Landesfläche für Onshore-Windkraft ausweisen. Grundstücke in Bundesbesitz sollen nicht verkauft, sondern für Solar- oder Windkraftanlagen (oder für Zwecke der biologischen Vielfalt) reserviert werden,
- Standortgemeinden nicht nur fakultativ, sondern obligatorisch an den Einnahmen aller neuen Solar- und Windkraftanlagen beteiligen. Für bestehende Anlagen sollen Zahlungen auf freiwilliger Basis möglich sein,
- Windenergieanlagen auf See in der Außenwirtschaftszone mehr Raum zuweisen.
Die Parteien planen außerdem, die finanzielle Unterstützung für Strom aus erneuerbaren Energien mit dem Abschluss des Kohleausstiegs auslaufen zu lassen. Erzeuger von erneuerbarem Strom sollen langfristige Stromabnahmeverträge (PPA) und Herkunftsnachweise zur Refinanzierung ihrer Anlagen nutzen.
Wasserstoff und bis 2045: Erdgas
Die Koalitionäre wollen Deutschland zu einem führenden Markt für Wasserstofftechnologien machen. Dazu planen sie, sowohl die Schaffung der notwendigen Netzinfrastruktur als auch die heimische Produktion von grünem Wasserstoff finanziell unterstützen.
Angesichts der begrenzten Verfügbarkeit von heimischem Strom aus erneuerbaren Energien setzt die neue Regierung nicht nur auf grünen Wasserstoff, sondern auf eine „technologieoffene“ Regulierung (also auch auf Wasserstoff anderer Farben als grün) sowie auf Wasserstoffimporte, um den Wasserstoffhochlauf zu unterstützen.
Außerdem gehen die Parteien davon aus, dass dort, wo Kohlekraftwerke aus dem Markt gehen, neue Gaskraftwerke gebaut werden müssen. Diese sollen aber so errichtet werden, dass sie auf klimaneutrale Gase umgestellt werden können („H2-ready“). Dies will die neue Regierung durch ein nicht näher erläutertes „Innovationsprogramm“ unterstützen.
Spätestens 2045 sollen die bestehenden Anlagen und Netze dann kein Erdgas mehr verwenden bzw. transportieren. Die neue Regierung plant, mit den Unternehmen in einen Dialog darüber einzutreten, wie Betriebsgenehmigungen für Energieinfrastrukturen so erteilt werden können, dass der Betrieb nach 2045 nur mit nicht-fossilen Brennstoffen fortgesetzt werden kann, ohne Investitionen fehlzuleiten oder Entschädigungsansprüche auszulösen.
Schon jetzt sollen keine neuen Genehmigungen für Öl- und Gasbohrungen in der Nord- und Ostsee mehr erteilt werden.
Beschleunigung von Planungen und Genehmigungen
Planungs- und Genehmigungsverfahren können langwierig sein und werden oft durch Einwände von Anwohnern und/oder Bedenken des Natur- und Artenschutzes behindert. Bis zur Erreichung der Klimaneutralität will die Koalition die Position der erneuerbaren Energien gegenüber anderen gesetzlich geschützten Interessen stärken. So heißt es Koalitionsvertrag ausdrücklich, dass bis zum Erreichen der Klimaneutralität erneuerbare Energien bei der Schutzgüterabwägung Vorrang genießen sollen.
Mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung soll die Öffentlichkeit frühestmöglich und dann möglichst abschließend am Planungsverfahren beteiligt werden. Kommunen soll der Netzausbau auf ihrem Gebiet durch finanzielle Anreize schmackhaft gemacht werden.
Private Investitionen anreizen
Für die Jahre 2022 und 2023 planen die Parteien die Einführung einer Prämie für Investitionen in Klimaschutz (sowie digitale Wirtschaftsgüter). Diese soll in Form einer „Superabschreibung“ erfolgen, wobei deren genaue Ausgestaltung unklar bleibt.
Die staatliche Förderbank KfW soll außerdem stärker als Innovations- und Investitionsagentur auftreten und etwa in den Bereichen Wasserstoff oder nachhaltige Mobilität als Co-Wagniskapitalgeberin wirken. Die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft soll sie über einen Transformationsfonds unterstützen.
Des Weiteren bekennen sich die Koalitionäre dazu, dass Investitionen in die Netzinfrastruktur „attraktiv“ sein müssen – ob die Koalitionäre hier ein Plädoyer für höhere Eigenkapitalrenditen der Strom- und Gasnetzbetreiber abgeben, lässt sich mangels weiterer Informationen aber nicht beurteilen.
Bepreisung von CO2
Die Parteien sind sich einig, dass Unternehmen in Deutschland für eine Tonne CO2 im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS) immer mindestens 60 EUR zahlen sollen. Für den Fall, dass der Marktpreis unter diese Marke fällt, wollen die Parteien Gegenmaßnahmen ergreifen, sei es durch die Einführung eines Mindestpreises oder durch die Löschung einer bestimmten Menge von Emissionszertifikaten. Die neue Regierung will außerdem überprüfen, inwieweit der nationale Brennstoffemissionshandel nach dem BEHG angepasst werden muss, um einen reibungslosen Übergang zu einem unionsweiten Brennstoffemissionshandel zu gewährleisten, wie er im Juli von der EU-Kommission im Rahmen ihres Fit-for-55-Pakets vorgeschlagen wurde.
Abschaffung der EEG-Umlage u.a.
Ab 2023 wollen die Parteien die sog. EEG-Umlage auf den Strompreis in Höhe von derzeit 6,5 ct./kWh (2022: 3,7 ct./kWh) abschaffen und aus öffentlichen Mitteln finanzieren (u.a. mit den Einnahmen aus dem nationalen Brennstoffemissionshandel). Darüber hinaus haben die Parteien eine Überprüfung des Energiesteuersystems einschließlich seiner Ausnahmen und Vergünstigungen mit dem Ziel vereinbart, die mit dem Stromverbrauch verbundenen Steuervorteile zu beseitigen.
Im Hinblick auf die Stromnetzentgelte erklären die Koalitionäre, dass sie sich für eine Reform einsetzen wollen, die „die Kosten für die Integration erneuerbarer Energien gerecht verteilt“.
Ob auch andere Strompreisbestandteile, wie etwa die Umlagen für KWK oder abschaltbare Lasten, auf den Prüfstand gestellt werden könnten, findet im Koalitionsvertrag keine Erwähnung.
Was noch?
Der Koalitionsvertrag streift eine ganze Reihe weiterer Aspekte, die die neue Regierung weiter prüfen und vorantreiben will. Dabei beschränkt sich der Text allerdings häufig auf die Benennung von Schlagworten, die zwar schon aus anderen Strategiepapieren oder EU-Vorgaben bekannt sind, deren Umsetzung sich aus den genannten Schlagworten allerdings noch nicht im Detail ablesen lässt. Dazu gehören u.a. die Prüfung technologieneutraler Kapazitätsmechanismen und Flexibilitäten oder „technischer Negativemissionen“ (d.h. CCUS), die Bioenergie, die Beschleunigung der Einführung intelligenter Stromzähler, die Einführung von Klimadifferenzverträgen (carbon contracts for difference), die Entwicklung eines „Klimaneutralitätsnetzes“ oder die Einführung einer eigenständigen Definition für Stromspeicheranlagen.
Was folgt als nächstes?
Im Jahr 2022 will die neue Regierung folgendes in Angriff nehmen:
- eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), des Klimaschutzgesetzes (KSG) und des Gebäudeenergiegesetzes (GEG),
- eine Überprüfung des Kohleausstiegsdatums,
- ein „Sofortprogramm“ für den Klimaschutz einschließlich aller erforderlichen Regulierungsvorschläge,
- eine Fortschreibung der nationalen Wasserstoffstrategie und
- die Einrichtung einer Plattform „Klimaneutrales Stromsystem“ zur Entwicklung eines neuen Strommarktdesigns.
Dabei muss die neue Regierung die EU-Vorgaben insbesondere für den Strom- und Gasmarkt sowie das EU-Beihilferecht berücksichtigen, (die überdies gerade sämtlich überarbeitet werden). Nicht zuletzt bei einer Anpassung des Planungs- und Genehmigungsrechts wird die neue Regierung sorgfältig prüfen müssen, welchen Spielraum ihr das EU-Recht ihr im Hinblick auf Bürgerbeteiligung und Naturschutzes lässt.
Bei anderen Aspekten, wie der Reform der Netzentgelte, wird die neue Regierung ein kürzlich ergangenes Urteil des EuGH beachten müssen, wonach die nationalen Regulierungsbehörden und nicht der Gesetzgeber für die Festlegung der Methoden des Netzzugangs und der Netzentgelte zuständig ist. Der Einfluss der Regierung ist in dieser Hinsicht also begrenzt.
Lesen Sie mehr
Weitere Auswertungen des Koalitionsvertrags aus anderen Fachbereichen sowie die englische Fassung dieses Texts finden Sie auf unserer Übersichtsseite zum Koalitionsvertrag.