BGH: Verzichts- und Vergleichsverbot auch bei Zustimmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter

Urteil vom 20. April 2021, Az. II ZR 387/18

Der BGH entschied, dass eine Vereinbarung zwischen dem Geschäftsführer und der Insolvenzschuldnerin über Ansprüche aus § 64 Satz 1 GmbHG aF auch dann dem Verzichts- und Vergleichsverbot unterfällt, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter ihr nach Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO) zugestimmt hat. Dies gelte entsprechend auch für die Neuregelung des § 15b Abs. 4 InsO.

Sachverhalt 

Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), deren Mehrheitsgesellschafterin die Beklagte zu 1 und Geschäftsführerin die Beklagte zu 2 war. Die Beklagte zu 1 gewährte der Schuldnerin umfangreiche Darlehen und ließ sich diese mit Sicherungsübereignungen und Abtretungen von Kundenforderungen besichern. Als die Schuldnerin ihre dauernden Zahlungsschwierigkeiten nicht überwinden konnte, wurde die Beklagte zu 1 zur alleinigen Geschäftsführerin bestellt. Vier Monate später wurde das vorläufige Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Die Schuldnerin und die Beklagte zu 1 schlossen mit Zustimmung des Klägers eine Vereinbarung, wonach die Beklagte zu 1 umfassend auf sämtliche Sicherungsrechte verzichtete und in gleichem Umfang von Haftungsansprüchen des § 64 GmbHG aF freigestellt wurde. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlangt der Kläger von der Beklagten zu 1 Erstattung von in den vier Monaten vor Insolvenzantrag erhaltenen Zahlungen, da diese bereits nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet worden seien.

Entscheidung des BGH

Die Beklagte zu 1 ist gemäß § 64 Satz 1 GmbHG aF (jetzt § 15b Abs. 4 InsO) zur Rückzahlung von Beträgen verpflichtet, die sie als Geschäftsführerin im Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin erhalten hat. Fraglich war für den BGH allein, ob ein Teil der Rückforderung aufgrund der Verzichtsvereinbarung zwischen Schuldnerin und Beklagter zu 1 zu kürzen war.

Keine Verfahrensfehler bei der Auslegung des Berufungsgerichts

Nach der nicht zu beanstandenden Auslegung des Berufungsgerichts habe sich die Beklagte zu 1 ihre Sicherungsrechte durch einen Forderungsverzicht „abkaufen“ lassen. Dieses Ergebnis beruhe nicht auf Verfahrensfehlern des Berufungsgerichts oder verstoße gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze.

Keine Unwirksamkeit wegen Verstoß gegen den Verfahrenszweck

Die Einnahmen aus den sicherungshalber abgetretenen Forderungen, auf die die Beklagte zu 1 verzichtet hatte, kamen einerseits der Betriebsfortführung zugute und waren andererseits auch nicht offensichtlich anfechtbar. Laut BGH ist der Masse ein offensichtlicher Schaden durch die Vereinbarung somit nicht entstanden und daher auch keine erkennbar verfahrenszweckwidrige Vereinbarung getroffen worden.

Unwirksamkeit der Vereinbarung aufgrund des Vergleichs- und Verzichtsverbotes 

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nimmt der BGH jedoch eine Unwirksamkeit der Vereinbarung gemäß § 64 Satz 4 GmbHG aF i.V.m. §§ 43 Abs. 3 Satz 2, 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG an. 

Grundsätzliche Unwirksamkeit von Verzichtsvereinbarungen nach § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG

Nach § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG ist ein Verzicht oder Vergleich hinsichtlich der Ersatzansprüche aus § 9a GmbHG unwirksam, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist. Dies gilt gemäß § 64 Satz 4 GmbHG aF i.V.m. § 43 Abs. 3 Satz 2 GmbHG auch für Ansprüche nach § 64 Satz 1 GmbHG aF.

Keine Ausnahme bei Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters

Nach der Rechtsprechung des BGH gilt dieses Verzichtsverbot nicht für den Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. In Entsprechung dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber im neu geschaffenen § 15b Abs. 4 Satz 5 InsO die Ausnahme von diesem Verzichtsverbot beim Handeln eines Insolvenzverwalters für die juristische Person kodifiziert.

Nicht diskutiert war bislang, ob diese Ausnahme auch für die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters gelten würde. Der BGH sprach sich nunmehr dagegen aus.

Das gesellschaftsrechtliche Verzichts- und Vergleichsverbot werde erst durch den mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbundenen Beschlag des Schuldnervermögens zu Gunsten der Gläubiger durch die insolvenzrechtlichen Bestimmungen überlagert. Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters und die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts bewirkten dagegen nur, dass der vorläufige Insolvenzverwalter wirksame rechtsgeschäftliche Verfügungen des Schuldners verhindern könne. Der vorläufige Insolvenzverwalter sei daher auf die Kontrolle des Schuldners beschränkt, dessen Handlungen weiterhin der gesellschaftsrechtlichen Bindung unterlägen.

Die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters und die mit ihr einhergehenden Befugnisse unterschieden sich zudem grundlegend von denen des Insolvenzverwalters im eröffneten Verfahren, denn sie beschränkten sich im Wesentlichen auf die Massesicherung und nicht deren Verwertung. Für den Insolvenzverwalter könne es wirtschaftlich sinnvoll sein, auf gewisse Ansprüche zugunsten der Insolvenzmasse zu verzichten, um eine im Ergebnis höhere Insolvenzquote zu erreichen. Demgegenüber bestehe im Eröffnungsverfahren kein Bedürfnis dafür, bereits hier über Vergleiche oder Verzichtsvereinbarungen zu entscheiden. 

Ferner blieben auch die Handlungsmöglichkeiten des vorläufigen Insolvenzverwalters hinter denen des endgültigen Insolvenzverwalters zurück und die absolut wirkenden Verbote des § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG seien bereits geeignet, einen notwendigen Schutz gegen eine Verfügung über gläubigerschützende Haftungsansprüche allein aus wirtschaftlichen Zwängen heraus zu bieten.

Der durch das Anfechtungsrecht nach §§ 129 ff. InsO gewährleistete Schutz der Gläubiger rechtfertige kein anderes Ergebnis, da das Verzichts- und Vergleichsverbot einen weitergehenden Schutz biete, der dem Insolvenzverfahren vorgelagert sei.

Bedeutung für die Neuregelung des § 15b Abs. 4 Satz 4 InsO

Die Neuregelung nach dem SanInsFOG in § 15b Abs. 4 Satz 4 InsO, die seit dem 1. Januar 2021 die Regelung des § 64 GmbHG aF abgelöst hat, ändere an dieser Auslegung des BGH nichts. Auch hier habe der Gesetzgeber ausdrücklich nur das Handeln des Insolvenzverwalters für die juristische Person als Ausnahme zum grundsätzlichen Verzichtsverbot nach § 15b Abs. 4 InsO genannt. Auch die Entlastung des Geschäftsführers für Zahlungen nach Antragsstellung gemäß § 15b Abs. 2 Satz 3 InsO sanktioniere nur das Vertrauen auf Zahlungen, die im Zeitraum bis zur Insolvenzeröffnung noch zu tätigen seien, während das Verzichts- und Vergleichsverbot demgegenüber den Schutz bereits entstandener Ansprüche betreffe.

Kein Verstoß gegen Treu und Glauben

Dem Insolvenzverwalter sei es auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt gewesen, sich auf die Unwirksamkeit der Verzichtsvereinbarung zu berufen.

Zwar sei es in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Anfechtung einer Rechtshandlung ausgeschlossen ist, wenn der vorläufige Verwalter durch sein Handeln einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand gesetzt hat und der Empfänger der Leistung demzufolge nach Treu und Glauben damit rechnen durfte, ein auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr entziehbares Recht erhalten zu haben. Daher könne auch die Zustimmung zu einer gegen das Verzichts- und Vergleichsverbot verstoßenden Vereinbarung dazu führen, dass sich der Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren auf diese nicht berufen kann.

Das Vertrauen des Geschäftsführers in den Bestand einer Vereinbarung, die gegen das Verzichts- und Vergleichsverbot verstößt, sei jedoch nur dann schutzwürdig, wenn dieser im Vertrauen auf den Bestand des Vergleichs oder Verzichts seinerseits tatsächlich eine Leistung zu Gunsten der Masse erbringt. Das Berufungsgericht habe dazu keine Feststellungen getroffen, insbesondere nicht dazu, unter welchen Umständen die Vereinbarung zustande gekommen ist und welche Leistungen zu Gunsten der Masse tatsächlich durch die Beklagte zu 1 erbracht wurden. Der Verzicht auf die Sicherungsrechte könne demnach nur als Leistung des Beklagten zu 1 gelten, wenn diese nicht ohnehin der Anfechtung unterlegen hätten.

Ergebnis

Die teilweise klageabweisende Entscheidung war daher aufzuheben und zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.