EuGH bestätigt Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen (DAC6)
EuGH, Urteil vom 29.07.2024, C-623/22 („Belgian Association of Tax Lawyers u. a.“): Steuerrecht
Die EU hat im Jahr 2011 eine Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung (DAC1) verabschiedet. Mit der sog. DAC6-Richtlinie (Richtlinie 2018/822/EU) wurde eine Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen eingeführt. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Regelungen in §§ 138d bis 138k AO umgesetzt.
Nach diesen Vorschriften sind meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen solche, bei denen die Beteiligten in mehr als einem Hoheitsgebiet steuerlich ansässig sind und die ein „Kennzeichen“ nach Anhang IV der Richtlinie aufweisen. Bei einigen Kennzeichen ist darüber hinaus erforderlich, dass einer der Hauptvorteile der Gestaltung die Erlangung eines Steuervorteils ist (Main Benefit-Test). Meldepflichtig ist primär der Intermediär, welcher die Meldung innerhalb von 30 Tagen abzugeben hat.
Verschiedene belgische Berufsverbände haben sich vor dem belgischen Verfassungsgerichtshof gegen das nationale Umsetzungsgesetz gewendet, weil sie Zweifel an der Vereinbarkeit mit den Europäischen Grundrechten nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) hatten. Der belgische Verfassungsgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und den EuGH angerufen. Bereits der Generalanwalt hat in seinen Schlussanträgen vom 29.02.2024 vorgeschlagen, die vorgelegten Fragen dahin zu beantworten, dass die DAC6-Richtlinie unionsrechtskonform sei. Der EuGH ist dem nun gefolgt und hat Verstöße gegen das Primärrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze verneint. Im Einzelnen:
- Sachlicher Anwendungsbereich der Richtlinie: Die Erstreckung der Mitteilungspflicht über die Unternehmenssteuer hinaus auf direkte Steuern aller Art verstoße nicht gegen die Grundsätze der Gleichheit und Nichtdiskriminierung sowie Art. 20 und 21 GRCh, weil Steuern aller Art Gegenstand einer aggressiven Steuerplanung sein können.
- Begrifflichkeiten und Fristen: Die Verwendung der Begriffe „grenzüberschreitende, marktfähige oder maßgeschneiderte Gestaltung“, „Intermediär“, „Beteiligter“ und „verbundenes Unternehmen“, die Kennzeichen des Anhang IV und das Kriterium des Main Benefit-Tests sowie die Bestimmung des Fristbeginns für die Meldepflicht stellten keinen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip in Strafsachen, den allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit und das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 7 GRCh dar. Zwar müssten Vorschriften klar und bestimmt sein, damit die auferlegten Pflichten genau zu erkennen und für den Einzelnen vorhersehbar seien. Die gewählten Begriffe und Merkmale dürften jedoch abstrakt bleiben, damit sie auch auf nicht im Voraus zu bestimmende Fälle anwendbar sind.
- Unterrichtungs- statt Mitteilungspflicht (legal professional privilege): Die vom EuGH mit Urteil vom 08.12.2022 (C-694/20, Orde van Vlaamse Balies) festgestellte Ungültigkeit von Art. 8ab Abs. 5 DAC, soweit Rechtsanwälte bei Bestehen einer (strafbewährten) Verschwiegenheitspflicht zwar von der Mitteilungspflicht befreit, aber zugleich zur Unterrichtung anderer Intermediäre über deren Mitteilungspflicht verpflichtet sind, bleibt auf Rechtsanwälte beschränkt. Die Pflicht anderer steuerberatender Berufe (die zwar ebenfalls einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen) zur Unterrichtung weiterer Intermediäre oder der relevanten Steuerpflichtigen über deren Mitteilungspflicht verstoße nicht gegen das Recht der Intermediäre auf Achtung des Privatlebens nach Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK.
- Inhaltliche Reichweite der Richtlinie: Der weite Anwendungsbereich der Richtlinie stelle keinen Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens der Intermediäre oder der Steuerpflichtigen nach Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK dar, obwohl unter Umständen auch rechtmäßige, angemessene und nicht missbräuchliche Gestaltungen, deren Hauptvorteil nicht steuerlicher Art ist, mitzuteilen seien. Zwar greife die Mitteilungspflicht in das Recht auf Achtung des Privatlebens ein. Dieser Eingriff verfolge mit dem Schutz der Steuerbemessungsgrundlage und der Steuereinnahmen der Mitgliedstaaten vor aggressiver Steuerplanung und Steuerhinterziehung legitime Ziele des Gemeinwohls. Eine derart weite Regelung sei auch erforderlich, um grenzüberschreitende Gestaltungen frühzeitig zu identifizieren und verstehen zu können. Die damit einhergehende Erfassung rechtmäßiger, angemessener und nicht missbräuchlicher Gestaltungen sei als verhältnismäßig hinzunehmen.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass es sich lediglich um eine Mitteilungspflicht handelt. Die Mitteilung hat zunächst keine unmittelbaren Konsequenzen, sondern macht die Finanzverwaltungen lediglich auf diese Sachverhalte aufmerksam.