Umsätze zwischen Mitgliedern einer Umsatzsteuerorganschaft sind nicht umsatzsteuerbar

EuGH, Urteil vom 11.07.2024, C-184/23 („Finanzamt T II“)

Bilden umsatzsteuerliche Unternehmer in Deutschland einen Organkreis, werden die Umsätze aller Organgesellschaften dem Organträger als eigene zugeordnet. Nur der Organträger selbst gilt als umsatzsteuerlicher Unternehmer; die einzelnen Mitglieder sind unselbständige Teile des Unternehmens des Organträgers. Daraus folgerte die deutsche Rechtspraxis in Rechtsprechung, Verwaltung und Literatur übereinstimmend, dass Umsätze zwischen den Mitgliedern der Organschaft nicht der Umsatzsteuer unterliegen. Diese Nichtsteuerbarkeit innerorganschaftlicher Umsätze ist oftmals ein entscheidender Grund für die Begründung einer umsatzsteuerlichen Organschaft. Wenn einzelne Mitglieder der Organschaft für sich betrachtet nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, weil sie umsatzsteuerfreie oder nicht umsatzsteuerbare Ausgangsleistungen erbringen, könnten sie Umsatzsteuer auf den Bezug von Eingangsleistungen von Dritten nicht als Vorsteuer abziehen. Werden diese Leistungen aber innerhalb einer Organschaft beschafft, entsteht keine, nicht als Vorsteuer abziehbare, Umsatzsteuer. Damit verringern sich, beispielsweise durch die Zentralisierung bestimmter Funktionen bei einzelnen Konzerngesellschaften, die Kosten um faktisch 19%. Gerade Unternehmen aus den Finanzdienstleistungs-, Versicherungs-, Gesundheits- oder Immobiliensektoren nutzen daher umsatzsteuerliche Organschaften. In anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union steht die umsatzsteuerliche Organschaft sogar nur Unternehmen aus diesen Branchen zur Verfügung, da nur sie der Vorteile der Nichtsteuerbarkeit von Binnenumsätzen bedürfen.

Ausdrücklich geregelt ist die vorstehend dargestellte Rechtsfolge weder im Unionsrecht für die unionsrechtliche Grundlage der Organschaft, der Mehrwertsteuergruppe, noch im nationalen Recht. Die jüngste Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache C-141/20 („Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie“) hatte den BFH zweifeln lassen, ob die Nichtsteuerbarkeit innerorganschaftlicher Umsätze tatsächlich unionsrechtskonform ist und zur Vorlage an den EuGH veranlasst. Der BFH wollte ausdrücklich auch geklärt wissen, ob die Nichtsteuerbarkeit von innerorganschaftlichen Umsätzen eventuell anders zu beurteilen sei, wenn die Mitglieder der Organschaft isoliert nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt wären. Damit war Gegenstand des Urteils ausdrücklich der soeben dargestellte Hauptvorteil der umsatzsteuerlichen Organschaft für nicht vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmen.

Der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen die Nichtsteuerbarkeit innerorganschaftlicher Umsätze bereits als unionsrechtskonform erkannt. Dem folgt der EuGH nun.

Der EuGH stützt sich zunächst auf die generelle Systematik der Mehrwertsteuergruppe. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gilt die Gruppe und nicht mehr ihre einzelnen Mitglieder als selbständige Steuerpflichtige. Die einzelnen Mitglieder können daher nicht mehr isoliert von der Gruppe als selbständige Unternehmer gelten. Da nur selbständige Unternehmer umsatzsteuerbare Leistungen gegenüber Dritten erbringen können, scheiden umsatzsteuerbare Leistungen innerhalb der Gruppe aus. Denn die Gruppenmitglieder handeln umsatzsteuerlich relevant nur noch als unselbständige Teile der Gruppe; nur noch die Gruppe tritt nach außen als Unternehmer auf.

Umsatzsteuerlich handelt es sich bei Leistungen zwischen den Gruppenmitgliedern daher um ein Insichgeschäft; es fehlt an der Leistung an einen Dritten und damit an der Umsatzsteuerbarkeit. Daran ändert auch der Umstand, dass die Mitglieder der Gruppe isoliert betrachtet nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt seien, nichts. Zwar dürfe die Mehrwertsteuergruppe und deren nationale Umsetzung in der deutschen Umsatzsteuerorganschaft nicht zu Steuerverlusten führen. Die Vorteile aus der Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen bei, isoliert betrachtet, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Gruppenmitgliedern stellen aber keine derartigen Steuerverluste dar. Diese Vorteile sind vielmehr systemimmanente Folge der Qualifikation der Gruppe als Unternehmer und damit einziger Vorsteuerabzugsberechtigter. Anders gewendet wird man den EuGH wohl so verstehen dürfen, dass sich die Frage des Vorsteuerabzugs nur auf Ebene der Gruppe, nicht auf Ebene der vorgelagerten gruppeninternen Leistungen stellt. In Deutschland stellt sich damit die Frage des Vorsteuerabzugs nur auf Ebene des Organträgers, nicht auf Ebene der Organgesellschaften. 

Für die deutsche Rechtspraxis gibt dieses Urteil Grund zu Entspannung. Die über Jahrzehnte tradierte Nichtsteuerbarkeit von innerorganschaftlichen Umsätzen ist nunmehr unionsrechtlich bestätigt. Gerade die Vorteile für nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Branchen bleiben damit bestehen. Bestehende Strukturen können weiterhin ihren Zweck der Kostenoptimierung erfüllen; die umsatzsteuerliche Behandlung muss nicht angepasst werden, Umsatzsteuererklärungen und -bescheide müssen nicht geändert werden. In der Strukturierung bleibt die umsatzsteuerliche Organschaft weiterhin ein Mittel zur Sicherung der Kosteneffizienz.

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