Voraussetzungen für eine grenzüberschreitende Funktionsverlagerung

FG Niedersachsen, Urteil vom 03.08.2023, 10 K 117/20

Eine Funktionsverlagerung liegt nicht vor, wenn weder Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile oder Geschäftschancen übertragen werdennoch eine kausale Verknüpfung zwischen der Übertragung von Vorteilen im weitesten Sinne und der Übertragung der Befähigung, eine Funktion auszuüben, besteht.

Im vorzeitigen Verzicht auf die Nutzung eines Lizenzvertrags aus eigenem Recht liegt keine verhinderte Vermögensmehrung, wenn dieser Verzicht durch eine der Höhe nach angemessene Entschädigung ausgeglichen wird.

Kurz zusammengefasst:

Strittig ist, ob in Folge einer im Konzern erfolgten Umstellung auf eine Prinzipalstruktur durch Übertragung von Aktivitäten und Risiken auf eine schweizerische Gesellschaft eine verdecke Gewinnausschüttung bzw. eine Funktionsverlagerung im Inland ausgelöst wurde.

Die Klägerin A gehörte als Organträgerin deutscher Organgesellschaften zur internationalen A-Gruppe, an deren Spitze die in den USA ansässige A Inc. stand. Die in Deutschland operativ tätigen Gruppengesellschaften produzieren und vertreiben unterschiedliche Produkte. Die hierfür benötigten immateriellen Wirtschaftsgüter (Patente, Designs, Marken) standen im Eigentum der B, einer in den USA ansässigen Gruppengesellschaft. Die B hatte mit allen operativen europäischen Gesellschaften der A-Gruppe zuletzt am 01.01.2009 einen Lizenzvertrag abgeschlossen, der bis zum 01.01.2013 lief und sich bei Nichtkündigung jeweils um ein weiteres Jahr verlängerte. Die wesentlichen strategischen Entscheidungen hinsichtlich der Produktions- und Vertriebsprozesse der operativen deutschen Gesellschaften traf die C, eine französische Dienstleistungsgesellschaft der Gruppe, bei der das europäische Leitungspersonal der A-Gruppe angestellt war.

Zum 01.01.2011 wurde das Geschäftsmodell der A-Gruppe auf Geheiß der Konzernspitze europaweit auf eine sog. Prinzipalstruktur umgestellt, um durch eine Zentralisierung von diversen betriebswirtschaftlichen Prozessen Kostenvorteile und Vorteile im Hinblick auf eine konsistente Vertriebsstrategie in Europa zu erreichen. Die bisher von der C ausübten Funktionen wurden auf die E, eine Gruppengesellschaft in der Schweiz, übertragen, die ab 01.01.2011 als Prinzipalgesellschaft für Europa agierte. Entsprechend schloss die B mit der E einen Lizenzvertrag über die immateriellen Wirtschaftsgüter ab und räumte ihr das Recht zum Abschluss von Unterlizenzverträgen ein. Zugleich kündigte die B die mit den operativen Gesellschaften bestehenden Lizenzverträge zum Ende der Grundlaufzeit zum 01.01.2013 und befreite diese für die Restlaufzeit von der Zahlung der Lizenzgebühren. Sodann schloss die Prinzipalgesellschaft E Auftragsfertigungs- und Unterlizenzverträge mit den operativen Gesellschaften, welche ab 01.01.2011 als Routineunternehmen (z.B. als Auftrags- oder Lohnfertiger oder als risikoarme Vertriebsgesellschaft) für den Prinzipal E tätig wurden. 

Da die operativen Gesellschaften die immateriellen Wirtschaftsgüter für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis 01.01.2013 auch (noch) aus dem eigenen Lizenzvertrag mit der B hätten nutzen können, seit der Umstrukturierung aber die schweizerische Prinzipalgesellschaft E sämtliche wesentlichen Geschäftsrisiken trug und die operativen Gesellschaften nur noch als Lohnfertiger bzw. risikoarme Vertriebsgesellschaften agierten, wurde den operativen Gesellschaften eine Entschädigung gewährt. Die Kompensation für die durch die Teilnahme an der Prinzipalstruktur ausgelösten Gewinnminderungen wurde für den Produktionsbereich unter Berücksichtigung eines zweijährigen Kapitalisierungszeitraums und für den Vertriebsbereich wegen des lokalen Kundenstamms anhand eines fünfjährigen Kapitalisierungszeitraums bewertet.

Im Rahmen einer Außenprüfung der Klägerin und ihrer Organgesellschaften in den Jahren 2015 bis 2017 würdigte das Finanzamt den Sachverhalt als verdeckte Gewinnausschüttung / Funktionsverlagerung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG bzw. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und § 1 Abs. 2 FVerlV, jeweils in der im Streitjahr geltenden Fassung) und berechnete Gewinnkorrekturen in Gestalt von Transferpaketen, von denen es die geleisteten Ausgleichszahlungen absetzte. Zwar sei nicht die Gesamtfunktion „Herstellung und Vertrieb“ von Produkten übertragen worden. Allerdings stelle die auf die schweizerische Prinzipalgesellschaft übertragene Entrepreneur-Eigenschaft einen lebensfähigen Teilbetrieb dar, da die auf den Prinzipal übertragenen Tätigkeiten in den Bereichen Verkauf, Marketing, Vertrieb und Forschung einen selbständigen, organisatorisch geschlossenen Kreis eines Gesamtbetriebs bildeten. Das Finanzamt nahm eine einheitliche Bewertung von Produktion und Vertrieb mit einem zeitlich unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum vor (§ 6 FVerlV 2008). Ein endlicher Kapitalisierungszeitraum sei insbesondere nicht durch die Laufzeit des Lizenzvertrags glaubhaft gemacht worden. Eine Minderung des Kapitalisierungszeitraums erfordere, dass die glaubhafte Möglichkeit der Versagung der Lizenz gegenüber der aufnehmenden Gesellschaft bestünde. Das sei nicht gegeben, weil das Gewinnpotential des übertragenen Teilbetriebs entscheidend von den Lizenzrechten abhängig sei, über welche letztlich die gemeinsame Konzernmutter befinden könne. Aus diesem Grund seien die gezahlten Entschädigungen zu gering gewesen. 

Gegen den aufgrund der Feststellungen der Außenprüfung ergangenen Änderungsbescheid für 2011 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag legte die Klägerin Einspruch ein, den das Finanzamt als unbegründet zurückwies. Die Klägerin erhob sodann Klage vor dem FG Niedersachsen. 

Das FG Niedersachsen verneinte eine verdeckte Gewinnausschüttung ebenso wie eine Funktionsverlagerung. 

Eine verdeckte Gewinnausschüttung kommt im Streitfall lediglich als verhinderte Vermögensmehrung in Gestalt der Überlassung einer Geschäftschance an die Prinzipalgesellschaft E in Betracht. Eine Geschäftschance sei in der Regel ein immaterielles Wirtschaftsgut, das entgeltlich übertragen werden kann und so weit konkretisiert sein muss, dass es eigenständig bewertbar ist. Dabei müsse es sich nicht zwingend um eine rechtlich abgesicherte Position handeln. Erforderlich sei jedoch eine gewisse Marktgängigkeit, damit eine Bewertung erfolgen könne. Im Streitfall fehle es gerade an der Übertragung einer vermögenswerten Position durch die operativen Gesellschaften auf die Prinzipalgesellschaft E. Die operativen deutschen Gesellschaften haben die wesentlichen strategischen Entscheidungen bereits vor der Umstrukturierung nicht selbst getroffen und diese auch nicht auf die E übertragen. Vielmehr habe die Umstrukturierung nur Positionen betroffen, welche die operativen Gesellschaften bereits zuvor nicht innehatten. 

Zwar könne der vorzeitige Verzicht auf die Nutzung des Lizenzvertrags aus eigenem Recht die Überlassung einer Geschäftschance darstellen. Vorliegend war jedoch keine verhinderte Vermögensmehrung bei den operativen inländischen Gesellschaften gegeben, weil der Verzicht durch eine der Höhe nach angemessene Entschädigung ausgeglichen worden sei. Entgegen der Auffassung des Finanzamts sei der Kapitalisierungszeitraum hinsichtlich des Produktionsbereichs bis zum Ende der Grundlaufzeit ausreichend gewesen. 

Auch eine Einkünftekorrektur aufgrund einer Funktionsverlagerung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG a.F. hat das FG Niedersachsen verneint. Nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG in der im Streitjahr geltenden Fassung liegt eine Funktionsverlagerung vor, wenn „eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken und der mit übertragenen oder überlassenen Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile verlagert“ wird. Ergänzt wird diese Legaldefinition durch § 1 Abs. 2 FVerlV in der im Streitjahr geltenden Fassung, wonach die Funktionsverlagerung gegeben ist, „wenn ein Unternehmen (verlagerndes Unternehmen) einem anderen Unternehmen (übernehmendes Unternehmen) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt …, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher vom verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eigeschränkt wird“. Im Streitfall lag nach diesen Grundsätzen keine Funktionsverlagerung vor, da weder materielle noch immaterielle Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie Geschäftschancen von den deutschen Gesellschaften auf die E übertragen worden sind noch eine kausale Verknüpfung zwischen der Übertragung von Vorteilen im weitesten Sinne und der Übertragung der Befähigung, eine Funktion auszuüben, bestand. Auch die in § 1 Abs. 2 FVerlV verlangte Voraussetzung „damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausfüllen kann, die bislang von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist“, sei nicht erfüllt. Vorliegend wurde die E maßgeblich durch die Übertragung von Funktionen, die zuvor die französische C ausgeübt hatte, in die Lage versetzt, als Entrepreneur für den europäischen Markt aufzutreten. Damit fehle es an der kausalen Verknüpfung der Überlassung von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen mit der Möglichkeit der Ausübung einer Funktion.

Das FG Niedersachsen hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Die aktuelle Entscheidung deckt sich mit einem weiteren (nicht rechtskräftigen) Urteil des FG Niedersachsen vom 16.03.2023, 10 K 310/19 (Revision: BFH I R 43/23). Darin hat das FG das Vorliegen einer Funktionsverlagerung abgelehnt, wenn weder Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile oder Geschäftschancen übertragen werden und auch keine kausale Verknüpfung zwischen der Übertragung von Vorteilen und der Übertragung der Befähigung zur Ausübung einer Funktion besteht.

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