Vorangegangene Veräußerung gem. § 22 Abs. 2 Satz 5 Hs. 1 UmwStG nur bei Aufdeckung stiller Reserven
FG Niedersachsen, Urteil vom 02.09.2024, 13 K 185/23 – Das FG Niedersachsen entscheidet, dass eine vorangegangene Veräußerung im Sinne von § 22 Abs. 2 Satz 5 Hs. 1 UmwStG nur vorliegt, wenn die stillen Reserven der erhaltenen Anteile im Rahmen des Veräußerungsvorgangs aufgedeckt werden.
Kurz zusammengefasst:
Kurz zusammengefasst: Der Kläger brachte im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen in einem ersten Schritt die jeweils einzigen Geschäftsanteile an zwei GmbHs (A1-GmbH und A2-GmbH), die er im Betriebsvermögen seines Einzelunternehmens hielt, in eine neu gegründete GmbH (B-GmbH) ein. Die B-GmbH hielt der Kläger ebenfalls im Betriebsvermögen desselben Einzelunternehmens. Die Einbringung erfolgte steuerlich nach § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG im Wege des qualifizierten Anteilstausches zu Buchwerten. In einem zweiten Schritt wurden alle Geschäftsanteile an der B-GmbH in eine weitere neu gegründete GmbH (C-GmbH), die sich ebenfalls im Betriebsvermögen des Einzelunternehmens befand, im Rahmen eines (weiteren) qualifizierten Anteilstauschs zu Buchwerten eingebracht. Darauf folgte wiederum die Einbringung des Geschäftsanteils des Klägers an der C-GmbH in eine GmbH & Co. KG, die der Kläger – wie auch die C-GmbH – im Betriebsvermögen seines Einzelunternehmens hielt; diese erfolgte als Einbringung eines Teilbetriebs zu Buchwerten gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG.
Im selben Monat verkaufte die B-GmbH (neben weiteren Anteilen an Kapital- und Personengesellschaften) die Geschäftsanteile an der A1-GmbH und der A2-GmbH. Das Finanzamt sah in dem Verkauf eine Verletzung der siebenjährigen Sperrfrist, der die Anteile an der A1-GmbH und der A2-GmbH nach ihrer Einbringung in die B-GmbH im Wege des Anteilstausches zu Buchwerten unterlagen, was zu einer rückwirkenden Besteuerung des Einbringungsvorgangs in Form eines Einbringungsgewinns II nach § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG führe. Der Kläger war demgegenüber der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Suspendierung des Einbringungsgewinns II nach § 22 Abs. 2 Satz 5 UmwStG vorlägen. Der Einbringungsgewinn II soll demnach nicht verwirklicht werden, soweit der Einbringende die erhaltenen Anteile veräußert hat. Dies sei vorliegend dadurch geschehen, dass der Kläger die Anteile an der B-GmbH in die C-GmbH im Wege eines qualifizierten Anteilstausches eingebracht und damit veräußert habe.
Mit dem FG Niedersachsen hatte, soweit ersichtlich, erstmals ein Gericht zu der Streitfrage zu entscheiden, ob eine Einbringung der erhaltenen Anteile zu Buchwerten tatsächlich zur Suspendierung des Einbringungsgewinns II nach § 22 Abs. 2 Satz 5 UmwStG führen kann. Von verschiedenen Literaturstimmen war dies vertreten worden und darauf basierend sind solche Strukturen in verschiedenen Fällen umgesetzt worden. Der Gesetzgeber hatte dies zum Anlass genommen, mit dem JStG 2024 (siehe hierzu Steuern Kompakt vom 21.10.2024) eine Ergänzung des Gesetzes vorzusehen, die klarstellen sollte, dass § 22 Abs. 2 Satz 5 UmwStG eine Aufdeckung der stillen Reserven verlangt.
Das FG hatte (natürlich) noch über die bisherige Fassung des Gesetzes zu entscheiden. Dabei hat es entschieden, dass der Einbringungsgewinn II im Streitfall aufgrund der Veräußerung der sperrfristbehafteten Anteile durch die B-GmbH zu Recht besteuert worden ist. Der Ansatz des Einbringungsgewinns II entfalle auch nicht aufgrund der Folgeeinbringungen, da das Tatbestandsmerkmal der Veräußerung in § 22 Abs. 2 Satz 5 Hs. 1 UmwStG durch diese nicht erfüllt werde.
Die Reichweite des Veräußerungsbegriffs lasse sich nur unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Intention bestimmen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei § 22 Abs. 2 UmwStG um eine Missbrauchsvermeidungsvorschrift handle. Der Gesetzgeber verzichte mit der Ausnahmeregelung des § 22 Abs. 2 Satz 5 UmwStG auf den Ansatz eines Einbringungsgewinns II, da davon auszugehen sei, dass die Veräußerung der erhaltenen Anteile durch den Einbringenden mittelbar über den Veräußerungspreis dazu führe, dass die stillen Reserven der in die übernehmende Gesellschaft eingebrachten Anteile realisiert und versteuert würden. Bei Einbringungs- und Umwandlungsvorgängen mit Buchwertfortführung erfolge jedoch keine mittelbare Aufdeckung der stillen Reserven in den eingebrachten Anteilen durch den Einbringungs- oder Umwandlungsvorgang auf der übergeordneten Ebene (bei der Veräußerung der erhaltenen Anteile). Um die Wirksamkeit der Missbrauchsvermeidungsvorschrift des § 22 Abs. 2 UmwStG insgesamt zu erhalten, müsse der Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift entsprechend teleologisch reduziert werden. Auch systematische Überlegungen sprächen dafür: So zeige etwa eine vergleichende Betrachtung mit § 22 Abs. 2 Satz 5 Hs. 2 UmwStG, der auf § 6 AStG verweist, dass im Falle einer Wegzugsbesteuerung nur dann kein Einbringungsgewinn II anzusetzen sei, wenn die Versteuerung der stillen Reserven der eingebrachten Anteile durch Festsetzung und fehlende Stundung gewährleistet sei. Daher sei auch § 22 Abs. 2 Satz 5 Hs. 1 UmwStG so zu verstehen, dass nur Einbringungs- und Umwandlungsvorgänge unter Aufdeckung der stillen Reserven umfasst seien.
Das FG positioniert sich in der Auslegungsfrage zum Veräußerungsbegriff des § 22 Abs. 2 Satz 5 Hs. 1 UmwStG entgegen der herrschenden Meinung in der Literatur, die auch Einbringungs- und Umwandlungsvorgänge, die zu Buch- oder Zwischenwerten vorgenommen werden, in den Normanwendungsbereich einbezieht. Die Literatur argumentiert vor allem damit, dass der BFH im Rahmen des § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG bislang teleologische Erwägungen nicht berücksichtigt hat. Wenn dies aber der Fall sei, können derartige Erwägungen auch nicht im Rahmen des § 22 Abs. 2 Satz 5 UmwStG berücksichtigt werden. Dieser Auffassung ist zuzugeben, dass es auf den ersten Blick wenig überzeugend erscheint, den Veräußerungsbegriff innerhalb des § 22 Abs. 2 UmwStG unterschiedlich (und damit jeweils profiskalisch) auszulegen. Das heißt nicht, dass die Auslegung des § 22 Abs. 2 Satz 5 UmwStG durch das FG Niedersachsen unzutreffend ist; möglich wäre eine Auflösung dieses Konflikts vielmehr dadurch – worauf das FG Niedersachsen in erfreulicher Klarheit hinweist –, dass im Rahmen des § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG teleologische Erwägungen mehr Berücksichtigung finden würden. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wurde die Revision zugelassen (und eingelegt), so dass der BFH Gelegenheit erhält, zu klären, ob es verschiedene Veräußerungsbegriffe innerhalb des § 22 Abs. 2 UmwStG gibt (BFH-Az. X R 26/24).