Zur Anwendung abkommensrechtlicher Aktivitätsvorbehalte auf ausländische Betriebsstätteneinkünfte
BFH, Urteil vom 03.07.2024, I R 4/21 – Der BFH urteilt über die Auslegung von abkommensrechtlichen Switch-over-Klauseln, die einen Aktivitätsvorbehalt unter Verweis auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG beinhalten.
Der BFH hat entschieden, dass abkommensrechtliche Switch-over-Klauseln, die im Rahmen eines Aktivitätsvorbehalts auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG Bezug nehmen, sowohl die dort genannten Tätigkeiten als auch die gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen erfassen, und dass ausländische Betriebsstätten bei der abkommensrechtlichen Prüfung dieser Aktivitätsvorbehalte das Tatbestandsmerkmal der „ausländischen Gesellschaft“ erfüllen.
Bei der Klägerin handelt es sich um die Rechtsnachfolgerin einer GmbH mit inländischem Sitz und Ort der Geschäftsleitung. Sie erbrachte unter Mitwirkung eigenen Personals – darunter einer ihrer Gesellschafter, der im Streitjahr zu 70% bzw. 95% an der Gesellschaft beteiligt war – Consultingleistungen unter anderem in Russland und Rumänien, wo ihr Geschäftsräume zur Verfügung gestellt oder von ihr angemietet wurden. Hinsichtlich der diesbezüglich erklärten Einkünfte aus ausländischen Betriebsstätten war die Klägerin der Auffassung, dass diese nach
dem jeweils anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) steuerfrei seien; nach Ansicht des Finanzamts unterfielen diese Einkünfte hingegen – aufgrund der anzuwendenden Switch-over-Regelung – der Anrechnungsmethode.
Das Sächsische Finanzgericht (Az. 1 K 1469/16) wies die Klage der Gesellschaft mit der Begründung ab, dass die grundsätzlich nach dem jeweiligen DBA von der Besteuerung freizustellenden Einkünfte aufgrund des in den DBA enthaltenen Aktivitätsvorbehalts der Anrechnungsmethode unterfielen, da die Beratungsleistungen aufgrund der Mitwirkung des mehrheitlich beteiligten Gesellschafters der GmbH gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AStG nicht als aktive Dienstleistungen zu qualifizieren seien. Eine Freistellung der ausländischen Betriebsstätteneinkünfte ergebe sich auch nicht aus § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG (i.d.F. des JStG 2010).
Der BFH bestätigte die Entscheidung des FG und wies die Revision als unbegründet zurück. Sowohl das DBA-Russland als auch das DBA-Rumänien enthalten Aktivitätsvorbehalte, die für Einkünfte, die nicht unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG fallen, einen Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode anordnen (Switch-over-Klausel). Im Rahmen der abkommensrechtlichen Prüfung der Aktivitätsvorbehalte sei das Tatbestandsmerkmal der „ausländischen Gesellschaft“ (§ 8 Abs. 1 AStG) so auszulegen, dass ihm auch ausländische Betriebstätten einer inländischen Kapitalgesellschaft unterfallen; bei dieser Auslegung handele es sich nicht um eine unzulässige Tatbestandserweiterung, sondern um eine für die abkommensrechtlich angeordnete Anwendung
erforderliche Anpassung.
Bei der in der Literatur streitigen Auslegungsfrage, ob abkommensrechtliche Verweise auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG nur auf die dort genannten Tätigkeiten Bezug nehmen oder auch die gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen (wie § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AStG) zu berücksichtigen seien, spricht sich der BFH für die letztgenannte Auffassung aus. Aus dem Wortlaut der Aktivitätsvorbehalte werde deutlich, dass nur solche Tätigkeiten gemeint seien, die auch unter Berücksichtigung der in diesen Vorschriften vorgesehenen Einschränkungen und der konkreten Umstände des Einzelfalls zu den aktiven Tätigkeiten gehören. Auch eine teleologische Reduktion der Norm komme nicht in Betracht.
Zudem sei auch § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG, aus dem sich für Fälle des § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AStG eine Rückausnahme ergibt, die als Rechtsfolge die Beibehaltung der Freistellungsmethode vorsieht, nicht anwendbar, wenn sich der Wechsel der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode nicht aus § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG, sondern aus der Anwendung einer abkommensrechtlichen Switch-over-Klausel
ergebe. § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG setze die Anwendung der abkommensrechtlichen Freistellungsmethode voraus, da es ansonsten durch die Rückausnahme nicht zu einer Rückkehr zur abkommensrechtlichen Freistellungsmethode kommen könne. Im Streitfall habe das FG daher zutreffend entschieden, dass aufgrund des abkommensrechtlichen Aktivitätsvorbehalts des jeweiligen DBA nicht die Freistellungs-, sondern die Anrechnungsmethode anwendbar ist.
Die Entscheidung hat eine erhebliche Bedeutung, da sie Zweifelsfragen zur abkommensrechtlichen Switch-over-Regelung und deren Verhältnis zu § 20 Abs. 2 AStG klärt. Interessant ist der Hinweis in Rn. 14 des Urteils, dass Rumänien im Streitjahr noch nicht Mitglied der EU war. Denn der aus unionsrechtlichen Gründen im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung mögliche Substanzescape (§ 8 Abs. 2 AStG) ist im Rahmen des § 20 Abs. 2 AStG ausdrücklich unbeachtet zu lassen, d.h. auch bei EU-Mitgliedschaft Rumäniens im Streitjahr wäre ein Substanzescape im Rahmen des § 20 Abs. 2 AStG nicht möglich gewesen. Ob im Rahmen der Anwendung der abkommensrechtlichen Switch-Over-Regelung möglicherweise etwas anderes gilt, wird durch das Urteil nicht angesprochen und bleibt somit erst
einmal offen.