Anlaufhemmung bei der Festsetzungsfrist für Haftungsbescheide

BFH, Urteil vom 18.03.2025, VII R 20/23 – Der BFH entscheidet, dass die Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO auch für Haftungsbescheide gilt, wenn ein Haftungsschuldner aufgrund gesetzlicher Pflichten Steuererklärungen oder Steueranmeldungen für einen Vertretenen abzugeben hat.

Streitig war, ob der Kläger, der Geschäftsführer einer GmbH war, als Haftungsschuldner für Steuerrückstände der GmbH in Anspruch genommen werden konnte.

Der Kläger war Geschäftsführer einer GmbH. Für diese wurden in den Jahren 2006 bis 2011 keine Steuererklärungen abgegeben. Erst im Rahmen einer im Jahr 2014 angeordneten Außenprüfung wurden erstmals Steuererklärungen für die GmbH, u.a. für die Umsatzsteuer im Veranlagungszeitraum 2006, eingereicht.

Im Jahr 2016 wurde der Kläger vom zuständigen Finanzamt (Beklagter) wegen vorbenannter Steuerrückstände der GmbH in den Jahren 2006 bis 2011 nach § 69 AO in Haftung genommen, nachdem über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Hiergegen wandte sich der Kläger mit dem Argument, dass die Steuerforderungen zu diesem Zeitpunkt bereits festsetzungsverjährt gewesen seien. Im Jahr 2017 wurde der Kläger in der Folge wegen der Nichtabgabe von Steuererklärungen in den Jahren 2007 bis 2012 wegen Steuerhinterziehung verurteilt.

Daraufhin nahm der Beklagte den ursprünglich nach § 130 Absatz 1 AO ergangenen Haftungsbescheid zurück und erließ im Jahr 2018 auf Basis von § 71 AO (Haftung des Steuerhinterziehers) einen neuen Haftungsbescheid in Bezug auf die Umsatzsteuer 2006. Hiergegen wandte der Kläger ein, dass ein neuer Haftungsbescheid nur unter den Voraussetzungen des § 130 Absatz 2 AO ergehen dürfte, die hier nicht erfüllt seien, weil der zugrundeliegende Sachverhalt identisch sei.

Das FG Düsseldorf (Az. 8 K 45/19 H) hob den Haftungsbescheid bzgl. der Umsatzsteuer für das Jahr 2006 auf und wies die Klage im Übrigen ab. Hinsichtlich des Haftungsbescheides für 2006 sei bei Erlass des Bescheides im Jahr 2018 die zehnjährige Festsetzungsfrist bereits abgelaufen gewesen. Nach § 191 Abs. 3 Satz 1 AO seien die Vorschriften über die Festsetzungsfrist auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Danach betrage die Festsetzungsfrist in Fällen der Steuerhinterziehung zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2006 habe am 01.01.2008 begonnen und am 31.12.2017 geendet. Der Anlauf der Festsetzungsfrist sei nach § 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO durch die fehlende Abgabe einer Steuererklärung nur gegenüber demjenigen Steuerpflichtigen gehemmt, der gesetzlich verpflichtet sei, eine Steuererklärung abzugeben. Damit war der Anlauf der Festsetzungsfrist vorliegend nur gegenüber der GmbH gehemmt, nicht gegenüber dem Kläger der als Geschäftsführer die Steuererklärung für die GmbH abzugeben hatte. Auch der Erlass eines neuen Haftungsbescheids nach § 71 AO gegen den Geschäftsführer als verurteilten Steuerhinterzieher stehe § 130 Abs 1 AO nicht entgegen, da nicht der gleiche Sachverhalt betroffen war. Denn der insoweit relevante Sachverhalt unterscheidet sich insofern, als dem ersten Haftungsbescheid die grob fahrlässige, aber eben nicht vorsätzliche Nichtabgebe von Steuererklärungen zugrunde lag, während der zweite Haftungsbescheid auf die vorsätzliche Steuerhinterziehung durch den Kläger gestützt war.

Der hiergegen gerichteten Revision des Finanzamts gab der BFH statt. Er hob das Urteil des FG Düsseldorf mit der Begründung auf, dass in Bezug auf die streitige Haftung für die Umsatzsteuer 2006 keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

Der BFH entschied, dass, wenn ein Haftungsschuldner gesetzlich verpflichtet ist, für den Steuerschuldner Steuererklärungen abzugeben, deren fehlende Abgabe wie für den Steuerschuldner auch für den Haftungsschuldner den Beginn der Festsetzungsfrist hemmt.

Im konkreten Fall unterlag der Beginn der zehnjährigen Festsetzungsverjährungsfrist für die Umsatzsteuer 2006 daher der Anlaufhemmung gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, sodass die Frist erst mit Ablauf des Kalenderjahres 2009 zu laufen begann. Der im Jahr 2018 erlassene Haftungsbescheid war somit nicht verjährt und rechtmäßig. Die Auffassung des FG zur Rechtmäßigkeit des Erlasses eines erneuten Haftungsbescheid nach § 71 AO bestätigte der BFH.

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