Ableitung des gemeinen Werts von Kapitalgesellschaftsanteilen aus Verkäufen
BFH, Urteile vom 25.09.2024, II R 15/21 und II R 49/22 – Für die Ermittlung des gemeinen Werts von nicht börsennotierten Kapitalgesellschaftsanteilen bildet der Substanzwert i.S.v. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG nicht die Wertuntergrenze, wenn ein niedrigerer Wert der Anteile aus Verkäufen zwischen fremden Dritten abgeleitet werden kann. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn es sich um Veräußerungen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr („freier Markt“) handelt. Veräußerungen sind auch dann nicht geeignet, um hieraus den gemeinen Wert abzuleiten, wenn bei diesen Verkäufen im Rahmen des Kaufpreises ein pauschaler Holding-Abschlag berücksichtigt wurde.
Die am selben Tag veröffentlichten BFH-Urteile betrafen beide die Bewertung von nicht börsennotierten Anteilen an Holding-Kapitalgesellschaften für Zwecke der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer:
- Im ersten Urteilsfall (II R 15/21) hat eine Mutter ihren Kindern Anteile an einer Holding-Kapitalgesellschaft vererbt. In der Feststellungserklärung wurde der Wert dieser Anteile abgeleitet aus vergangenen Anteilseinziehungen, die zu einem Kurs von 400% des Nennkapitals erfolgten, bzw. aus Anteilverkäufen unter Gesellschaftern, bei denen ein Veräußerungspreis von 400% des Nennkapitals vereinbart wurde. Das Finanzamt setzte die Anteile hingegen mit dem höheren Substanzwert an.
- Im zweiten Urteilsfall (II R 49/22) hat ein Vater seinen Kindern Anteile an einer Holding-Kapitalgesellschaft geschenkt. In der Feststellungserklärung wurde der Wert dieser Anteile aus den Verkaufspreisen von über 60 Verkäufen anderer Anteile zwischen (entfernter verwandten) Familienangehörigen innerhalb der letzten 12 Monate vor der Schenkung abgeleitet. Diese Verkaufspreise basierten auf dem Substanzwert abzgl. eines pauschalen Holding-Abschlags. Das Finanzamt setzte die Anteile hingegen mit dem Substanzwert ohne Abzug des Holding-Abschlags an.
In den Urteilen vom 25.09.2024 folgte der BFH der Auffassung des Finanzamtes und konkretisierte die Grundsätze für die Ermittlung des gemeinen Werts von nicht börsennotierten Anteilen an Kapitalgesellschaften gem. § 11 Abs. 2 BewG:
- Danach bildet der Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG grundsätzlich nicht die Wertuntergrenze, wenn ein niedriger gemeiner Wert aus Verkäufen zwischen fremden Dritten abgeleitet werden kann, die weniger als ein Jahr zurückliegen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Diese Auslegung sei aus teleologischen, systematischen und verfassungsrechtlichen Gründen geboten und entspreche der weit überwiegenden Meinung in der Literatur.
- Allerdings kann ein niedriger gemeiner Wert nur dann aus Verkäufen zwischen fremden Dritten nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG abgeleitet werden, wenn ein entsprechender Veräußerungspreis vereinbart wurde, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage („freier Markt“) ermittelt wurde. Nicht herangezogen werden können hingegen Verkäufe, bei denen regelmäßig derselbe Preis zugrunde gelegt wird, da der Preis sich nicht an den veränderten Vermögensverhältnissen orientiert. An einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr fehlt es auch, wenn die Anteile nur nach einer vorgegebenen Reihenfolge Personen angeboten wurden und deshalb größtenteils zum vorgegebenen Preis veräußert wurden. Ferner scheidet die Ableitung des gemeinen Wertes aus Verkäufen aus, bei denen im Rahmen des Kaufpreises ein pauschaler Holding-Abschlag berücksichtigt wurde, der nicht auf einer am konkreten Unternehmen orientierten Bewertung beruht.