Quellenbesteuerung von Dividenden
EuGH, Urteil vom 19.12.2024, C-601/23 („Credit Suisse Securities (Europe)“) – Eine steuerliche Regelung, welche eine Erstattung der Quellensteuer im Verlustfall nur für gebietsansässige Gesellschaften und nicht für gebietsfremde Gesellschaften vorsieht, stellt einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 AEUV dar.
Eine in Großbritannien ansässige Gesellschaft erhielt im Jahr 2017 eine Dividende von einer in Spanien (Provinz Bizkaia) ansässigen Gesellschaft. Auf die Dividende wurde eine Quellensteuer von 19% festgesetzt, welche nach dem spanisch-britischen DBA nachträglich auf 10% reduziert wurde. Da die britische Gesellschaft in dem Steuerjahr insgesamt einen Verlust erlitten hatte, war eine Anrechnung bzw. Erstattung der Quellensteuer in Großbritannien nach dem DBA nicht möglich. Bei einer in der spanischen Provinz Bizikaia ansässigen Gesellschaft wäre die Quellensteuer hingegen als Vorauszahlung auf die spanische Körperschaftsteuer anzusehen gewesen, die im Verlustfall vollständig erstattet worden wäre.
Der EuGH sah hierin eine grundsätzlich nach Art. 63 Abs. 1 AEUV verbotene Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit, da die ungünstigere Behandlung gebietsfremde Gesellschaften von Investitionen in Spanien ansässige Gesellschaften abhalten kann. Nach dem EuGH liegt auch keine nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV zulässige Ungleichbehandlung vor, da die Besteuerung der Dividenden bei gebietsansässigen und gebietsfremden Gesellschaften eine objektiv vergleichbare Situation sei. Darüber hinaus sei die Regelung auch nicht durch einen der folgenden Gründe zu rechtfertigen:
(i) Effizienz der Steuerbeitreibung: Eine Ungleichbehandlung ließe sich beseitigen, wenn die gebietsfremden Gesellschaften, die relevanten Angaben liefern würden, die zur Feststellung der Voraussetzungen für die Erstattung der Quellensteuer erforderlich sind. Die Richtigkeit solcher Angaben könne, durch die zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten bestehenden Mechanismen zur gegenseitigen Unterstützung, überprüft werden.
(ii) Ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten: Es bestehe insbesondere nicht die Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung. Denn, wenn sich ein Staat entschieden habe, in bestimmten Situationen gebietsansässige Gesellschaften nicht hinsichtlich Dividenden inländischer Herkunft zu besteuern, könne er sich nicht auf die Notwendigkeit einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten berufen, um die Besteuerung gebietsfremder Gesellschaften mit solchen Einkünften zu rechtfertigen.
(iii) Wahrung der Kohärenz des Steuersystems (d.h. die Nichtberücksichtigung der Verluste als Pendant zur Nichtbesteuerung der wirtschaftlichen Tätigkeiten): Auch dieser Rechtfertigungsgrund sei nicht überzeugend, da die gebietsansässigen Gesellschaften ebenfalls nicht als Ausgleich für die Erstattung der Quellensteuer einer bestimmten steuerlichen Belastung unterliegen.
Die Entscheidung des EuGH unterstreicht, dass eine unterschiedliche steuerliche Behandlung von gebietsansässigen und gebietsfremden Gesellschaften (insbesondere bei der Dividendenbesteuerung) aufgrund der Kapitalverkehrsfreiheit kaum zu rechtfertigen ist.
Die dem Urteil des EuGH zugrunde liegende spanische Regelung ist auf Basis der im Urteil dargestellten Informationen vergleichbar mit den deutschen Regelungen zum Kapitalertragsteuerabzug, wonach die Kapitalertragsteuer auf Dividenden (nur) bei unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaften auf die Körperschaftsteuer angerechnet wird (§ 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG), bei beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaften hingegen grundsätzlich Abgeltungswirkung entfaltet (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG). Diese Parallele hat wohl auch die deutsche Regierung gesehen und ausweislich des EuGH-Urteils Eingaben zu dem (Deutschland nicht unmittelbar betreffenden) Verfahren gemacht. Im Inland beschränkt Steuerpflichtige, die inländische Dividenden in Jahren bezogen haben, in denen sie insgesamt in ihrem Sitzstaat einen steuerlichen Verlust erzielt haben, sollten daher prüfen, ob eine Erstattung der deutschen Kapitalertragsteuer auf Basis des EuGH-Urteils in Betracht kommt.