Umsetzung der globalen Mindeststeuer in Europa

Der belgische Verfassungsgerichtshof hat mit Entscheidung Nr. 104/2025 vom 17.07.2025 dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die belgische Umsetzung der sog. Undertaxed Profits Rule („UTPR“) gemäß Art. 12-14 der Mindestbesteuerungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2022/2523) mit primärem Europarecht vereinbar ist.

Die Mindestbesteuerungsrichtlinie („MinBestRL“) setzt die von der OECD/Inclusive Framework entwickelte globale effektive Mindeststeuer („Pillar Two“) für die EU-Mitgliedstaaten verbindlich um. Die UTPR wurde in Deutschland in den §§ 11 ff. MinStG in vergleichbarer Form wie in Belgien umgesetzt (eigenständige Ergänzungssteuer, kein Betriebsausgabenabzugsverbot (gemäß Art. 12 MinBestRL besteht zwischen beiden Varianten ein Wahlrecht)). Die Entscheidung des EuGH über die Vereinbarkeit der UTPR mit dem Europarecht kann insofern weitreichende Auswirkungen für die Umsetzung der Pillar Two in der Europäischen Union haben.

Das zugrundeliegende Verfahren vor dem belgischen Verfassungsgerichtshof wird von einer amerikanischen Interessenvereinigung – der sog. American Free Enterprise Chamber of Commerce („AmFree“) – betrieben und wurde in Fachkreisen aufmerksam verfolgt. Hintergrund des Verfahrens ist die seit längerem sehr kritische Sicht der US-Unternehmen und US-Republikaner auf die UTPR. Die UTPR wurde vom OECD/Inclusive Framework in den Pillar Two Mustervorschriften („GloBE Rules“) als eine sekundäre Erhebungsform der Mindeststeuer entwickelt, um zu verhindern, dass Unternehmen sich durch die Wahl des Ansässigkeitsstaats der obersten Muttergesellschaft dem Anwendungsbereich der primären Erhebungsform der Mindeststeuer (sog. Income Inclusion Rule – „IIR“) teilweise entziehen könnten (sog. Inversion Risk). Zweck der UTPR ist daher, die Anwendung der IIR zu fördern, indem der Besteuerungszugriff in jedem Fall sichergestellt wird (sog. Backstop). Dafür kommt es unter der UTPR zu einer Nacherhebung der nicht von der IIR abgedeckten Niedrigbesteuerung dergestalt, dass der verbleibende Steuerbetrag an alle Staaten, in denen das betroffene Unternehmen tätig ist, nach einer feststehenden Formel verteilt wird. Dadurch wird die verbleibende Steuerpflicht auf die gesamte Unternehmensgruppe verteilt, unabhängig von den konkreten Beteiligungsverhältnissen oder Verursachungsbeiträgen für die Niedrigbesteuerung innerhalb der Gruppe (in der US-Literatur als „diabolical machinery“ bezeichnet).

Infolge der untypischen Funktionsweise der UTPR, Steuerlasten nicht entlang der Beteiligungskette oder anhand anderweitiger Verursachungsbeiträge zu verteilen, wurde die Regelung seit Veröffentlichung der GloBE Rules scharf kritisiert und zunächst ihre Vereinbarkeit mit Doppelbesteuerungsabkommen in Frage gestellt. Später wurden von der US-Regierung verschiedene Strafsteuern in Aussicht gestellt, falls die UTPR gegenüber US-Unternehmen zur Anwendung kommen sollte. Das Verfahren der AmFree vor dem belgischen Verfassungsgerichtshof ist in diesem Gesamtkontext zu sehen. Es ist Teil eines Gesamtvorstoßes insb. der US-Unternehmen, die Anwendung der UTPR zu verhindern. Zuvor hatten sich bereits zahlreiche US-Unternehmen aus dem Anwendungsbereich der IIR herausstrukturiert, indem Beteiligungsketten umgehängt wurden (sog. Out-from-under Struktur).

Mit dem Verfahren vor dem belgischen Verfassungsgerichtshof beantragt die AmFree nun die Nichtigerklärung der belgischen Umsetzung der UTPR. Diese Nichtigkeit folge aus den Grundrechten der belgischen Verfassung sowie der Charta der Europäischen Grundrechte („Charta“) und den Grundfreiheiten des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union („AEUV“), insb. da sich aus diesen Rechtsgrundlagen ein Diskriminierungsverbot, der Schutz des Eigentums und der Unternehmensfreiheit sowie ein Grundsatz der Rechtssicherheit ergibt, die durch die UTPR verletzt seien. Dabei falle insb. auch ins Gewicht, dass die UTPR sich auf exterritoriale Gewinne anderer ausländischer Einheiten bezieht und nicht auf den eigenen Gewinn der im Inland steuerpflichtigen Einheiten (d.h. ihre eigene Leistungsfähigkeit). Da sich die UTPR aus der MinBestRL ergibt und Belgien verpflichtet sei, diese umzusetzen, stelle sich die vorlagebedürftige Frage nach der Primärrechtswidrigkeit der (sekundärrechtlichen) Art. 12-14 MinBestRL.

Die Vorlagefrage gibt dem EuGH nun die Möglichkeit, zu verschiedenen grundsätzlichen Aspekten des europäischen Steuerrechts und der globalen Mindeststeuer Stellung zu nehmen. Dazu könnte u.a. zählen, ob Art. 115 AEUV überhaupt eine taugliche Rechtsgrundlage für die Einführung (auch) der UTPR ist, welche Anforderungen sich aus einem europäischen Leistungsfähigkeitsgrundsatz ergeben und wie sich primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe bei der Überprüfung von Sekundärrecht verändern. Ferner wird im Laufe des Verfahrens wohl auch die Anwendung der UTPR auf US-Unternehmen ggf. wegfallen, nachdem die G7 sich darauf verständigt haben (sog. Side-by-Side Approach), wodurch sich die Frage der Betroffenheit der klagenden AmFree neu stellen könnte. Das Verfahren erhöht aber ohne Zweifel bereits unmittelbar den politischen Druck auf die globale Mindeststeuer.

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