BGH: Bestimmung der Zeitpunkte für Gläubigerbenachteiligung und Kenntnis vom Vorsatz des Schuldners
Urteil vom 28. Januar 2021, Az. IX ZR 64/20
Der BGH äußerte sich erstmals dazu, wann der maßgebliche Zeitpunkt für die Kenntnis eines Leistungsempfängers im Hinblick auf den Vorsatz einer Gläubigerbenachteiligung bei Zahlung des Schuldners über einen Leistungsmittler ist. Damit entschied er einen lange offen gebliebenen Streit in der Literatur.
Zukünftig wird man sich in der Praxis vermehrt der Frage stellen müssen, wann genau eine Zahlung entlang der Leistungsketten vor Insolvenzeröffnung erfolgte und damit auch Kenntnis des anderen Teils von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners auslöste.
Sachverhalt
In dem zugrunde liegenden Fall ist die Schuldnerin eine GmbH mit erheblichen ausstehenden Steuerverbindlichkeiten. In der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens überwies sie ihrem Geschäftsführer einen Teil der zur Tilgung erforderlichen Summe, kurz bevor das Finanzamt einen erfolglosen Vollstreckungsversuch unternahm. Erst nach diesem Vollstreckungsversuch überwies der Geschäftsführer gleich hohe Beträge auf das Konto des Finanzamtes. Der spätere Insolvenzverwalter der Schuldnerin forderte diese erhaltenen Zahlungen im Wege der Anfechtung nach §§ 143 Abs. 1, 133 InsO zurück.
Entscheidung des BGH
Rechtshandlung der Schuldnerin
Anders als das klageabweisende Berufungsgericht, sah der BGH die gläubigerbenachteiligende Schuldnerhandlung im Sinne des § 129 InsO bereits in der Überweisung der GmbH an den Geschäftsführer. Schon dadurch sei eine Verkürzung der haftenden Vermögensmasse zulasten der übrigen Gläubiger eingetreten. Dass die Gesellschaft den Betrag unter Umständen noch von ihrem Geschäftsführer hätte zurückverlangen können, ändere daran nichts.
Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin
Zu diesem Zeitpunkt habe die Schuldnerin gewusst, dass ihre finanziellen Mittel nicht zur Befriedigung aller Gläubiger ausreichen würde und handelte daher mit dem Vorsatz ihre Gläubiger zu benachteiligen.
Kenntnis des Gläubigers
Kenntnis von der zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit
Besonders ist hier jedoch, dass das Finanzamt erst nach der Zahlung der GmbH an ihren Geschäftsführer durch den erfolglosen Vollstreckungsversuch von der zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin erfahren hatte. Entscheidend sei daher, ab wann der Zeitpunkt für die Kenntnis des Gläubigers zu messen ist.
Die überwiegende Auffassung im Schrifttum und der Kommentarliteratur hält den Zeitpunkt des Eintritts der Gläubigerbenachteiligung auch für die Bestimmung der Kenntnis des Leistungsempfängers für maßgeblich. Als die Schuldnerin die Beträge an den Geschäftsführer überwies, hatte das Finanzamt noch keine Kenntnis und die Klage wäre demnach abzuweisen.
Dieser Auffassung erteilte der BGH nun eine Absage. Entscheidender Zeitpunkt sei nach § 140 Abs. 1 InsO vielmehr derjenige, in dem durch die Handlung eine Rechtsposition begründet wird, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Anfechtung beachtet werden müsste. Dies, so der BGH, sei erst der Zeitpunkt der Zahlung des Geschäftsführers auf das Konto des Finanzamtes. Zuvor habe sich an der Rechtsposition des Leistungsempfängers nichts geändert – auch nicht, als das Geld über einen Leistungsmittler quasi „auf den Weg gebracht wurde“. Eine Vorverlegung des Kenntniszeitpunktes auf denjenigen der Gläubigerbenachteiligung würde den Leistungsempfänger unbillig begünstigen, da dieser regelmäßig vor Eingang der Zahlung auch von der Gläubigerbenachteiligung nichts wissen könne.
Kein Ausnahmefall der Nichtkenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes
Unerheblich war laut BGH ebenfalls, ob der Geschäftsführer durch die Zahlung möglicherweise einer eigenen Verbindlichkeit zuvorkommen wollte. Zahlt der Leistungsmittler auf eine eigene Schuld, so steht dies einer Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Leistungsempfängers grundsätzlich entgegen. Zu beachten war hier jedoch, dass der einzig in Betracht kommende Anspruch gegen den Geschäftsführer ein Haftungsanspruch nach § 69 AO war. Für diesen fehlte es aber bereits an einem Haftungsbescheid nach § 191 AO – auch ein Prüfverfahren war noch nicht eingeleitet worden. Da sich die Frage der Tilgungsbestimmung auch hier nach dem objektiven Empfängerhorizont bestimmt, konnte das Finanzamt somit nur davon ausgehen, dass eine Zahlung auf die Fremdschuld der insolvenzreifen Gesellschaft und nicht der Eigenschuld des Geschäftsführers erfolgte.
Ergebnis
Damit waren die Voraussetzungen für eine Insolvenzanfechtung aufgrund vorsätzlicher Benachteiligung nach § 133 Abs. 1 InsO gegeben und das Finanzamt zur Rückgewähr an den Insolvenzverwalter verpflichtet.