Grundsteuerwertfeststellung im sog. Bundesmodell

BFH-Beschlüsse vom 27.05.2024, II B 78/23 (AdV) (V) und II B 79/23 (AdV) (V)

Die im Rahmen des AdV-Verfahrens vorgenommene summarische Prüfung gebietet eine verfassungskonforme Auslegung der reformierten Bewertungsvorschriften (§§ 218 ff. BewG) zur Grundsteuerwertfeststellung dahingehend, dass Steuerpflichtigen bei einer erheblichen Überschreitung des Werts ihres Grundbesitzes durch den festgestellten Grundsteuerwert die Möglichkeit einzuräumen sei, einen niedrigeren Wert nachzuweisen.

Kurz zusammengefasst:

Gegenstand der Verfahren waren zwei bebaute Grundstücke in Rheinland-Pfalz, auf die – mangels auf landesgesetzlicher Ebene eingeführter Regelungen – das reformierte Bewertungsrecht für die Grundsteuer des Grundsteuer-Reformgesetzes vom 26.11.2019 (BGBl. I 2019, S. 1794; Bundesmodell) Anwendung findet. Die Neuregelung der Bewertung für Zwecke der Grundsteuer, die eine Vielzahl von Typisierungen und Pauschalierungen enthält, erfolgte, nachdem die bis dahin geltenden Normen des Bewertungsgesetzes vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt wurden (Urteil vom 10.04.2018 – 1 BvL 11/14). In beiden Streitfällen legten die Antragsteller mit der Begründung, der gemeine Wert ihrer Immobilien liege erheblich unter dem vom Finanzamt festgestellten Wert, Einspruch gegen die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung (AdV), die das Finanzgericht Rheinland-Pfalz jeweils gewährte. Gegen die Gewährung der AdV legte das Finanzamt in beiden Fällen Beschwerde beim BFH ein.

Der BFH wies die Beschwerden als unbegründet zurück und nahm im Beschluss Stellung zur gebotenen verfassungskonformen Auslegung der neuen Bewertungsvorschriften. Das BVerfG habe dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Bewertungsregelungen einen weiten Gestaltungsspielraum zugestanden. Diesen habe der Gesetzgeber durch zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen zur Bewältigung der (möglichst automatisierten) Grundsteuerwertfeststellungen genutzt. Bei einer alleinigen Anknüpfung an das Innehaben von Grundbesitz und der dadurch vermittelten Möglichkeit einer ertragsbringenden Nutzung als Indikator der objektiven Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen sei jedoch eine Orientierung am gemeinen Wert des Grundbesitzes erforderlich, damit die Regelung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem daraus folgenden Übermaßverbot genüge. Komme es im Einzelfall aufgrund der typisierenden und pauschalierenden Wertermittlung des Bewertungsgesetzes zu Unterschieden zwischen dem gemeinen Wert und dem im Bewertungsverfahren festgestellten Wert, sei dies zulässig, solange Verstöße gegen das Übermaßverbot durch verfassungskonforme Auslegung der Bewertungsvorschriften oder durch Billigkeitsmaßnahmen abgewendet werden könnten. Ein solcher Verstoß komme nach bisheriger BFH-Rechtsprechung bei einer Abweichung von mindestens 40 % zwischen den beiden Werten in Betracht. Bei verfassungskonformer Auslegung der reformierten Bewertungsvorschriften müssten daher Steuerpflichtige in solchen Fällen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen und so eine geänderte Feststellung herbeizuführen.

Da in den Streitfällen ein solcher Nachweis durch die Steuerpflichtigen möglich erscheine, bejahte der BFH in beiden Verfahren die für die Gewährung der AdV gebotenen ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte. Mangels Entscheidungserheblichkeit nahm der BFH nicht Stellung zu den vom FG geäußerten grundsätzlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsregeln, die sowohl das mögliche Vorliegen eines strukturellen Vollzugsdefizits als auch eine potenzielle Gleichheitswidrigkeit durch die Nichtberücksichtigung lagebedingter Mietpreisunterschiede betrafen. Auch ohne ausdrückliche Stellungnahme des Senats zur Verfassungsmäßigkeit wirft die Entscheidung ein kritisches Licht auf das pauschalisierende Bewertungsverfahren und stärkt die Rechte der Steuerpflichtigen.

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