Gestaltungsmissbrauch bei Gestaltung im sog. Bulle-Bär-Modell (gegenläufige Zertifikate)

FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.12.2024, 8 V 8129/24 – Eine missbräuchliche Steuergestaltung liegt vor, wenn ein sog. „Bulle-Bär-Modell“ gewählt wird, um in einer Kapitalgesellschaft Verluste zu erzeugen und diese durch eine Verschmelzung auf eine Kommanditgesellschaft bei einer natürlichen Person ausgleichsfähig zu machen.

Kurz zusammengefasst:

Die Antragsstellerin, eine Kommanditgesellschaft mit einer natürlichen Person als Kommanditist, hatte im Jahr 2014 alle Anteile an einer UG erworben und diese rückwirkend auf das Gründungsdatum der UG auf sich verschmolzen. Zum Vermögen der UG gehörten sowohl ein „Produktkonzept“ zur Entwicklung eines Sprachlerngerätes sowie Zertifikate, bei denen der Anleger überproportional profitiert, wenn der zugrunde liegende Basiswert sich positiv entwickelt (sog. „Bull Zertifikat“).

Eine Schwestergesellschaft der UG hatte zeitgleich gegenläufige Zertifikate auf den gleichen Referenzwert zum selben Nominalwert erworben (sog. „Bear-Zertifikate“), sodass sich in Summe betrachtet, Gewinne und Verluste aus den Zertifikaten wirtschaftlich vollständig kompensieren.

Die finanziellen Mittel für den Erwerb der Zertifikate (EUR 10 Mio. je UG) wurden beiden UGs von ihrem Gründungsgesellschafter mittels Einlage zur Verfügung gestellt. 

Im Zeitpunkt des Erwerbs der UG-Anteile durch die Kommanditgesellschaft stand bereits fest, dass die von der UG gehaltenen „Bull-Zertifikate“ verlustbehaftet sind und am Fälligkeitstag kein Gewinn erzielt werden konnte. Nach der Verschmelzung verkaufte die Antragstellerin die „Bull-Zertifikate“, die zu diesem Zeitpunkt deutlich unter ihrem Nominalwert notierten, da die in den Emissionsbedingungen geregelten Referenzwerte nicht erreicht wurden, und erzielte hierbei einen Verlust von ca. EUR 9,3 Mio. 

Die Antragstellerin ermittelte in ihrer Feststellungserklärung für das Jahr 2014 ihre Einkünfte aus Gewerbebetrieb unter Berücksichtigung der Verluste aus der Veräußerung der „Bull-Zertifikate“. Nach einer Außenprüfung kam das Finanzamt zu dem Ergebnis, dass diese Verluste gem. § 42 AO nicht zu berücksichtigen seien, obwohl gegenläufige Gewinne in einer anderen juristischen Person (der Schwestergesellschaft) entstanden waren. Es änderte den Feststellungsbescheid entsprechend und lehnte den AdV-Antrag der Antragstellerin ab.

Auch das FG lehnte den AdV-Antrag nach der gebotenen kursorischen Prüfung ab. Es führte aus, dass die Verluste nicht zu berücksichtigen seien, wobei offenbleiben könne, ob sich dies aus einer rückwirkenden Anwendung des § 2 Abs. 5 UmwStG (gem. § 27 Abs. 16 Satz 2 UmwStG) oder aus § 42 AO ergäbe. Sei § 2 Abs. 5 UmwStG rückwirkend auf den Streitfall anwendbar, so lägen dessen Tatbestandsvoraussetzungen vor und eine Verrechnung der Verluste scheide aus. Sei § 2 Abs. 5 UmwStG dagegen nicht anwendbar, so sei der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz, die die Anwendung von § 42 AO sperren könnte, nicht erfüllt.

Nach Ansicht des FG liege jedenfalls eine missbräuchliche Steuergestaltung vor, die sich aus der Ausnutzung der Rückwirkungsfiktion des § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG ergäbe: Der Erwerb der UG und die anschließende, rückwirkend auf den Tag ihrer Gründung stattfindende, Verschmelzung der UG auf die Antragstellerin diente allein der steuerlichen Zurechnung von Verlusten auf die Antragstellerin, die sie wirtschaftlich nicht getragen habe. Denn diese Verluste seien gezielt durch gegenläufige Geschäfte mit Zertifikaten auf Ebene der UG und ihrer Schwestergesellschaft generiert worden (sog. „Bulle-Bär-Modell“). Das gewählte Investment in die „Bull-Zertifikate“ sei – so jedenfalls die Meinung des FG - nicht auf eine Kapitalanlage, sondern allein auf die Verlustgenerierung zum Zweck des (Verlust-)Handels gerichtet gewesen.

Zudem handele es sich bei den geschäftlichen Aktivitäten rund um das „Produktkonzept“ zur Entwicklung eines „Sprachlerngeräts“ um ein steuerlich unbeachtliches Scheingeschäft, dem kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt beizumessen sei. Die dem Gericht hierzu vorgelegen Unterlagen seien widersprüchlich und unkonkret, sodass diese nach Auffassung des FG nur zum Schein erstellt wurden, um von der Zertifikats-Gestaltung abzulenken.

Das FG hat die Beschwerde zum BFH zugelassen, da die Frage, ob § 42 AO durch die rückwirkende Inkraftsetzung des § 2 Abs. 5 UmwStG verdrängt wird, grundsätzliche Bedeutung habe.

Abzuwarten bleibt, ob der BFH die über § 27 Abs. 16 Satz 2 UmwStG angeordnete echte Rückwirkung des § 2 Abs. 5 UmwStG für zulässig halten wird. Sofern dies der Fall sein sollte, dürfte der BFH dem FG zustimmen, dass eine Verlustverrechnung an § 2 Abs. 5 UmwStG scheitert. Zweifelhaft ist jedoch, ob der BFH dem FG auch in der Anwendung des § 42 AO folgen wird, da er diese Vorschrift in der Vergangenheit, etwa bei der rückwirkenden Verschmelzung einer Gewinn- auf eine Verlustgesellschaft, nur sehr restriktiv angewendet hat (siehe BFH, Urteil v. 17.11.2020 – I R 2/18; siehe hierzu Beitrag von Dr. Jens Blumenberg (Partner, Steuerecht, Linklaters Hamburg) und Thomas Bernard (Managing Associate, Steuerrecht, Linklaters Frankfurt), in: DB 2021, S. 1491, zur Leseprobe).

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