Erwerbsvorgänge vor Einführung des § 1 Abs. 4a GrEStG

FG Münster, Urteil vom 16.01.2025, 8 K 2744/21 GrE – Auch für Erwerbsvorgänge vor Einführung des § 1 Abs. 4a GrEStG kann ein Grundstück für Zwecke des § 1 Abs. 3 GrEStG nicht mehreren Gesellschaften gleichzeitig zugerechnet werden.

Kurz zusammengefasst:

In 2013 gliederte die X KGaA unter anderem ihre 100%-Beteiligung an der R-GmbH und der Klägerin auf die K-KGaA gegen Gewährung neuer Anteile aus. Die Ausgliederung wurde im Dezember 2013 in das Handelsregister eingetragen. Die R-GmbH hielt 100% der Anteile an der inländischen Grundbesitz haltenden C-GmbH. Die Ausgliederung erfüllte in Bezug auf die Anteile an der C-GmbH (zwischen den Parteien unstreitig) den Erwerbstatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG.

Im Juni 2018 wurde die R-GmbH auf die Klägerin verschmolzen. Im Zuge der Verschmelzung ist u.a. die Beteiligung an der Grundbesitz haltenden C-GmbH von der R-GmbH auf die Klägerin übergegangen. Zwischen der Ausgliederung in 2013 und der Verschmelzung in 2018 hat die C-GmbH keinen Grundbesitz hinzuerworben.

Das Finanzamt sah in der 2018 erfolgten Verschmelzung einen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG in Bezug auf die Anteile an der C-GmbH, der mangels Einhaltung der Vorbehaltensfrist nicht nach § 6a GrEStG befreit sei. Die Klägerin macht geltend, dass die Verschmelzung nicht zu einem Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG geführt habe, da im Zeitpunkt der Verschmelzung der (zivilrechtlich) von der C-GmbH gehaltene Grundbesitz für Zwecke der Grunderwerbsteuer nicht (mehr) der C-GmbH, sondern aufgrund des in 2013 durch die K-KGaA verwirklichten Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG (alleine) der K-KGaA zuzurechnen sei.

Das FG Münster hat sich der Auffassung der Klägerin angeschlossen. Es liege kein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG vor, da der zivilrechtlich von der C-GmbH gehaltene Grundbesitz seit der Ausgliederung in 2013 für Zwecke des § 1 Abs. 3 GrEStG (nur) der KGaA zuzurechnen sei. Entgegen dem gleichlautenden Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder vom 16.10.2023 (siehe hierzu Steuern Kompakt vom 10.11.2023) könne ein Grundstück für Zwecke der §§ 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG nicht gleichzeitig der „grundbesitzenden“ Gesellschaft (hier: C-GmbH) als auch einer anderen Gesellschaft (die zuvor einen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 GrEStG verwirklicht hat) zugerechnet werden.

Aufgrund der Ablehnung eines Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG brauchte das FG Münster die Voraussetzungen des § 6a GrEStG nicht mehr prüfen.

Das FG Münster hat die Revision zum BFH wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, da die Entscheidung – trotz Einführung der Zurechnungsregelung in § 1 Abs. 4a GrEStG – für vor dem 06.12.2024 verwirklichte Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 3 GrEStG relevant sein wird.

Die Entscheidung des FG Münster ist zu begrüßen. Sie bestätigt die in der Praxis häufig vernommene Kritik an dem Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder vom 16.10.2023, dass es für eine gleichzeitige Zurechnung eines Grundstücks zu mehreren Gesellschaften für Zwecke des § 1 Abs. 3 GrEStG keine Stütze im Gesetz oder der Rechtsprechung des BFH gebe. Steuerpflichtigen, gegen die wegen der „doppelten Zurechnung“ von Grundbesitz auf Grundlage dieses Erlasses Grunderwerbsteuer festgesetzt wurde, ist zu raten, die entsprechenden Bescheide gerichtlich überprüfen zu lassen.
 

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