BVerfG: Klimaschutzgesetz ist teilweise verfassungswidrig
Heute hat das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss vom 24. März 2021 veröffentlicht, wonach die Regelungen des Klimaschutzgesetzes vom 12. Dezember 2019 (KSG) insofern mit Grundrechten unvereinbar sind, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen. Darüberhinausgehende Grundrechtsverletzungen begründet das Klimaschutzgesetz nach Auffassung der Verfassungsrichter nicht (s. Pressemitteilung vom 29. April 2021).
Hintergrund der Verfassungsbeschwerden
Gegenstand der Verfassungsbeschwerden war die Frage, inwieweit die Regelungen des Klimaschutzgesetzes ausreichend sind, um die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels künftig einzudämmen.
Ziel des Klimaschutzgesetzes ist es nach § 1 Satz 3 KSG, die Verpflichtung aus dem Übereinkommen von Paris, wonach der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf möglichst 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist, umsetzen. Zudem stellt das Gesetz ein Bekenntnis der Bundesrepublik Deutschland dar, Treibhausgasneutralität bis 2050 als langfristiges Ziel zu verfolgen.
Zu diesem Zweck beinhaltet das Klimaschutzgesetz die Verpflichtung, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55 % gegenüber 1990 zu mindern und legt durch sektorenbezogene Jahresemissionsmengen die bis dahin geltenden Reduktionspfade fest (§ 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2). Eine Regelung über das Jahr 2030 hinaus enthält das Gesetz dabei nicht. Vielmehr soll nach § 4 Abs. 6 KSG die Bundesregierung im Jahr 2025 für weitere Zeiträume nach dem Jahr 2030 jährlich absinkende Emissionsmengen durch Rechtsverordnung festlegen.
Nach Auffassung der Beschwerdeführer sind diese Regelungen nicht ausreichend, um die Treibhausgase zeitnah zu reduzieren. Vielmehr könne das der Temperaturschwelle von 1,5 °C entsprechende „CO2-Restbudget“ mit den verabschiedeten Maßnahmen nicht eingehalten werden. Durch das Versäumnis der Implementierung eines strengeren Reduktionspfades habe der Staat grundrechtliche Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Zudem seien die Grundrechte auf menschenwürdige Zukunft sowie auf das ökologische Existenzminimum verletzt, welche die Beschwerdeführer aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20a GG und aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ableiten. Schließlich verstoße das Klimaschutzgesetz gegen Freiheitsrechte, da ab dem Jahr 2030 zur Umsetzung der Emissionsminderungspflichten eine „Vollbremsung“ erforderlich werde, die unzumutbare Grundrechtsbeeinträchtigungen mit sich bringe.
Überblick über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Die Verfassungsrichter lehnen eine Verletzung der staatlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie Art. 14 Abs. 1 GG angesichts des dem Gesetzgeber insoweit zukommenden Spielraums ab. Das mit dem Klimaschutzgesetz implementierte Konzept sei insbesondere nicht offensichtlich ungeeignet, das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.
Grundrechte seien aber dadurch verletzt, dass die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 bis zum Jahr 2030 zugelassenen Emissionsmengen die danach noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduzieren und dadurch praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit gefährdet sei.
Vor einer entsprechenden Freiheitsgefährdung durch einseitige Verlagerung der aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft seien die Beschwerdeführenden durch Art. 20a GG geschützt. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Umstand, dass die CO2-Emissionen nach derzeitigem Stand weitestgehend irreversibel zur Erwärmung der Erde beitragen. Der Gesetzgeber dürfe einen ad infinitum fortschreitenden Klimawandel dementsprechend nicht tatenlos hinnehmen, sondern habe Vorkehrungen zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität zu treffen, an denen es bislang fehle.
Nach Auffassung der Verfassungsrichter begründen alle Vorschriften, die jetzt CO2-Emissionen zulassen, eine unumkehrbar angelegte rechtliche Gefährdung künftiger Freiheit, weil sich mit jeder CO2-Emissionsmenge, die heute zugelassen wird, die in Einklang mit Art. 20a GG verbleibenden Emissionsmöglichkeiten verringern. Spiegelbildlich werde CO2-relevanter Freiheitsgebrauch künftig immer stärkeren, auch verfassungsrechtlich gebotenen Restriktionen ausgesetzt sein. Insoweit verschärfe ein umfangreicher Verbrauch des CO2-Budgets schon bis 2030 das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen in der Zukunft, weil damit die Zeitspanne für technische und soziale Entwicklungen knapper werde, mit deren Hilfe die Umstellung von der heute noch umfassend mit CO2-Emissionen verbundenen Lebensweise auf klimaneutrale Verhaltensweisen freiheitsschonend vollzogen werden könnte.
Im Lichte dessen genüge § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 nicht dem aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgenden Erfordernis, die nach Art. 20a GG verfassungsrechtlich notwendigen Reduktionen von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen.
Zwar könne vom Gesetzgeber nicht verlangt werden, dass die absinkenden Emissionsmengen bereits jetzt bis zur Erreichung der für 2050 angestrebten Klimaneutralität konkret bestimmt werden. Es sei jedoch nicht ausreichend, die Bundesregierung lediglich dazu zu verpflichten, einmal – im Jahr 2025 – durch Rechtsverordnung eine weitere Festlegung zu treffen. Vielmehr müsse zumindest geregelt werden, in welchen Zeitabständen weitere Festlegungen transparent zu treffen sind. Zur entsprechenden Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Umsetzungsfrist bis zum 31. Dezember 2022 gesetzt.