Aktuelles Arbeitsrecht: Das „Betriebsräte-modernisierungsgesetz“ kommt
Am 21. Mai 2021 hat der Bundestag das Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt („Betriebsrätemodernisierungsgesetz“) final beschlossen. Das Gesetz basiert im Wesentlichen auf einem Ende März 2021 vom Bundeskabinett verabschiedeten Regierungsentwurf, der jedoch durch eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales noch einige wichtige Änderungen erfahren hat. Wir fassen im Folgenden alles Wissenswerte zum neuen Gesetz zusammen:
Erleichterung von Betriebsratswahlen
Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz enthält verschiedene Regelungen, die Betriebsratswahlen fördern und vereinfachen sollen:
- Die Regelungen zu Wahlvorschlägen werden gelockert. In Betrieben mit in der Regel bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern bedarf es nach dem neuen Gesetz keiner Unterzeichnung von Wahlvorschlägen mehr (bislang müssen Wahlvorschläge in diesem Fall von mindestens zwei Wahlberechtigten unterzeichnet werden). In Betrieben mit in der Regel 21 bis 100 Arbeitnehmern reicht künftig die Unterzeichnung durch zwei Wahlberechtigte aus (für Betriebe dieser Größe gab es bislang keine Vereinfachung, sondern es galt die allgemeine Regelung, dass jeder Wahlvorschlag von mindestens einem Zwanzigstel, mindestens aber von drei wahlberechtigten Arbeitnehmern unterzeichnet sein muss). Die allgemeine Mindestanzahl von drei wahlberechtigten Arbeitnehmern fällt zudem künftig weg. Ab einer Betriebsgröße von in der Regel mehr als 100 Arbeitnehmern bedarf es fortan der Unterzeichnung durch mindestens ein Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer.
- Zudem wird das vereinfachte Wahlverfahren sowohl für die Wahl des Betriebsrats als auch für die Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung ausgeweitet. Künftig gilt das vereinfachte Wahlverfahren nach § 14a BetrVG nicht mehr nur in Betrieben mit in der Regel fünf bis 50 wahlberechtigten Arbeitnehmern, sondern für Betriebe mit in der Regel fünf bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern. In Betrieben mit 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern können Arbeitgeber und Wahlvorstand die Durchführung des vereinfachten Wahlverfahrens vereinbaren (bislang gibt es diese Möglichkeit lediglich für Betriebe mit 51 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern).
- Darüber hinaus wird künftig die in § 19 BetrVG geregelte Möglichkeit der Wahlanfechtung für Fälle eingeschränkt, in denen der Anfechtungsgrund auf einem Fehler der Wählerliste beruht und zwar sowohl für wahlberechtigte Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber. Hierdurch soll nach der Begründung die Rechtssicherheit der Betriebsratswahl gesteigert werden.
- Eine weitere Neuerung betrifft die Herabsetzung des Mindestalters für die aktive Beteiligung an Betriebsratswahlen von der Vollendung des 18. Lebensjahres auf die Vollendung des 16. Lebensjahres. Diese im ursprünglichen Regierungsentwurf noch nicht enthaltene Regelung stammt aus der Feder des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Sie könnte sich in Betrieben mit einer Vielzahl von jüngeren Arbeitnehmern mittelbar auch auf die Größe des Betriebsrats auswirken, da sich die Anzahl der Betriebsratsmitglieder gem. § 9 BetrVG nach der Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer bestimmt.
Erweiterter Kündigungsschutz für Initiatoren einer Betriebsratswahl
Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz wird zudem der besondere Kündigungsschutz für Initiatoren von Betriebsratswahlen ausgeweitet:
- Der in § 15 Abs. 3a KSchG geregelte Sonderkündigungsschutz für Arbeitnehmer, die zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung einladen oder die Bestellung eines Wahlvorstands gerichtlich beantragen, wird auf die ersten sechs in der Einladung oder die ersten drei in der Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer ausgeweitet (bislang gilt der Kündigungsschutz für die ersten drei in der Einladung oder Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer).
- Zudem werden künftig durch Einfügung eines neuen Absatzes in § 15 KSchG auch diejenigen Arbeitnehmer geschützt, die Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats unternehmen und eine öffentlich beglaubigte Erklärung mit dem Inhalt abgegeben haben, dass sie die Absicht haben, einen Betriebsrat zu errichten. Für diesen Personenkreis wird künftig eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung unzulässig sein, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen.
Virtuelle Betriebsratssitzungen und elektronische Signatur
- Die Teilnahme an Betriebsratssitzungen mittels Video- oder Telefonkonferenz ist bisher nur nach Maßgabe des § 129 BetrVG und befristet bis zum 30. Juni 2021 möglich. Nun erhalten Betriebsräte durch eine Erweiterung der §§ 30 bis 34 BetrVG dauerhaft die Möglichkeit, unter vom Betriebsrat selbst gesetzten Rahmenbedingungen, Sitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz durchzuführen. Allerdings sollen Präsenzsitzungen den Vorrang vor virtuellen Sitzungen haben. Zu kritisieren ist, dass die „Digitalisierung der Betriebsratsarbeit“ halbherzig ausgefallen ist.
- Für die Praxis gleichermaßen bedeutsam wie bedauerlich ist, dass die bisher im Rahmen der Sonderregelung aufgrund der Pandemiesituation bis zum 30. Juni 2021 vorgesehene Möglichkeit, auch Einigungsstellensitzungen virtuell durchzuführen, künftig wieder entfällt.
- In §§ 76 und 77 BetrVG wird klargestellt, dass Beschlüsse der Einigungsstelle und Betriebsvereinbarungen auch in elektronischer Form niedergelegt/beschlossen werden können. Bei Betriebsvereinbarungen hat die qualifizierte elektronische Signatur von Betriebsrat und Arbeitgeber auf demselben Dokument zu erfolgen.
Erweiterung von Mitbestimmungsrechten
- Das Initiativrecht der Betriebsräte bei Maßnahmen der Berufsbildung wird ausgebaut. Bei Uneinigkeit besteht fortan die Möglichkeit der Anrufung der Einigungsstelle um Vermittlung. Dazu wird in § 96 BetrVG ein weiterer Absatz eingefügt. Ein Einigungszwang wird allerdings nicht statuiert.
- Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz sieht zudem eine Stärkung der Rechte des Betriebsrats beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz vor. Der Begriff der Künstlichen Intelligenz (KI) wird im Gesetz nicht definiert. In der Begründung wird allerdings auf die von der Bundesregierung beschlossene „Strategie Künstliche Intelligenz“ verwiesen und klargestellt, dass KI-basierte Systeme rein softwarebasiert sein oder in der virtuellen Welt agieren können oder KI in Hardwaregeräten eingebettet sein kann. In dem Strategiepapier der Bundesregierung wird zum Begriff der Künstlichen Intelligenz angemerkt, dass es eine einzige allgemeingültige bzw. von allen Akteuren konsistent genutzte Definition nicht gibt und darauf hingewiesen, dass sich die Bundesregierung bei ihrer Strategie an den Positionen der sogenannten “schwachen KI“ orientiert, die auf die Lösung konkreter Anwendungsprobleme auf Basis der Methoden aus der Mathematik und Informatik ausgerichtet ist. Das Gesetz sieht mit Blick auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz folgende Änderungen des BetrVG vor:
Zum einen wird § 80 Abs. 3 BetrVG dahingehend erweitert, dass die Hinzuziehung eines Sachverständigen insoweit als erforderlich gilt, als der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben die Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intelligenz beurteilen muss. Diese Fiktion der Erforderlichkeit bezieht sich damit – losgelöst von einzelnen Mitbestimmungstatbeständen – auf sämtliche Fälle, in denen es in irgendeiner Weise um die Einführung oder Anwendung KI-basierter Systeme geht. In solchen Fällen werden Arbeitgeber somit künftig stets die Sachverständigenkosten übernehmen müssen, ohne beispielsweise einwenden zu können, dass der Betriebsrat selbst die erforderlichen Kenntnisse besitzt oder die Angelegenheit nicht die Einbindung eines teuren Sachverständigen rechtfertigt.
Zum anderen gilt das Unterrichtungsrecht bei der Planung von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen aus § 90 BetrVG künftig auch dann, wenn ein Einsatz von Künstlicher Intelligenz erfolgt. Schließlich finden die Rechte des Betriebsrats bei der Aufstellung von Auswahlrichtlinien gem. § 95 BetrVG fortan auch dann Anwendung, wenn dabei Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt. - Zur Förderung der mobilen Arbeit und zum Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird in § 87 Absatz 1 Nr. 14 BetrVG ein neues Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird, eingeführt. Davon umfasst sein soll nach der Gesetzesbegründung sowohl die regelmäßige als auch die anlassbezogene mobile Arbeit. Angesichts des Fokus des neuen Mitbestimmungsrechts auf die Nutzung technischer Einrichtungen bei mobiler Arbeit, für welche bereits das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nr. 6 BetrVG gilt, ist der „Mehrwert“ des neuen Mitbestimmungsrechts fraglich. Allerdings steht damit die Frage eines Initiativrechts der Betriebsräte auf Einführung technologisch unterstützter mobiler Arbeit im Raum.
Verantwortlichkeit bei eigener Datenverarbeitung durch den Betriebsrat
Nicht abschließend geklärt ist bisher, ob den Betriebsrat im Lichte der Datenschutzgrundverordnung auch eine eigene datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit - und damit potentielle Haftung bei eigenen Datenschutzverstößen – trifft oder der Arbeitgeber datenschutzrechtlich verantwortlich bleibt.
Mit einem neu einzufügenden § 79a BetrVG wird es nun künftig eine Regelung zum Datenschutz geben. In dieser wird zunächst klargestellt, dass der Betriebsrat bei der Verarbeitung personenbezogener Daten die Vorschriften über den Datenschutz einzuhalten hat. Darüber hinaus wird geregelt, dass der Arbeitgeber der für die Verarbeitung Verantwortliche im Sinne der datenschutzrechtlichen Vorschriften ist, soweit der Betriebsrat zur Erfüllung der in seiner Zuständigkeit liegenden Aufgaben personenbezogene Daten verarbeitet. Zudem sollen sich Arbeitgeber und Betriebsrat gegenseitig bei der Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften unterstützen. Neu gegenüber dem Regierungsentwurf ist die aus der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales stammende Klarstellung, dass der Datenschutzbeauftragte gegenüber dem Arbeitgeber über solche Informationen zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, die Rückschlüsse auf den Meinungsbildungsprozess des Betriebsrates zulassen. In der Begründung wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit des Arbeitgebers nicht die institutionelle Unabhängigkeit der Betriebsrats beschneidet und die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit des Betriebsrats auch in der Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat in datenschutzrechtlichen Angelegenheiten gewährleistet bleiben muss.
Schließung bestehender Lücken in der gesetzlichen Unfallversicherung
Durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz wird zudem der Unfallversicherungsschutz bei Tätigkeiten im Homeoffice ausgeweitet. § 8 SGB VII wird dahingehend erweitert, dass Arbeitnehmer künftig, soweit sie von zu Hause aus oder an einem anderen Ort außerhalb der Unternehmensstätte arbeiten, im gleichen Umfang wie bei einer Tätigkeit in der Unternehmensstätte Versicherungsschutz genießen. Auch das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von außer Haus liegenden Kinderbetreuungseinrichtungen wird künftig vom Versicherungsschutz erfasst.
Fazit und Ausblick
Die nun durch den Bundestag verabschiedete Gesetzesfassung enthält im Wesentlichen die bereits aus dem Regierungsentwurf bekannten Regelungen, hat jedoch insbesondere durch die Ausweitung des Unfallversicherungsschutzes bei Homeoffice-Tätigkeiten noch eine durchaus substantielle Änderung erfahren. Auch ein Regelungsvorschlag zum Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Hinblick auf mobile Arbeit - das nun mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz auf den Weg gebracht wurde - war zunächst in einem ersten (nicht veröffentlichten) Gesetzesentwurf zur mobilen Arbeit vorgesehen, der seinerzeit jedoch innerhalb der Koalition auf erhebliche Kritik stieß und letztlich wieder fallengelassen wurde. Ob das Betriebsrätemodernisierungsgesetz die angestrebte Vereinfachung und Modernisierung bringen wird, erscheint fragwürdig. Die neuen Regelungen werden in erster Linie mehr Bürokratieaufwand und neue Kostenbelastungen für Arbeitgeber mit sich bringen. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz als Einspruchsgesetz wurde bereits am 28. Mai 2021 vom Bundesrat gebilligt. Es tritt am Tag nach der Verkündung und somit voraussichtlich zeitnah in Kraft.