Nominierung, Freistellung und politische Statements: Rechtliche Fragestellungen rund um Olympia 2024
"Nach dem Großevent ist vor dem Großevent", lautet das Motto in diesem Sportsommer 2024: Kaum ist die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland beendet, richtet sich der Blick auf die Olympischen Sommerspiele, die vom 26. Juli bis zum 11. August in Paris ausgetragen werden.
Die Olympischen Spiele werfen als weltweit beachtetes Sportereignis spannende rechtliche Fragestellungen auf. Hierzu werden in diesem Beitrag der Nominierungsprozess für Olympia, die Freistellung durch den jeweiligen Arbeitgeber und die Möglichkeiten und Grenzen von Meinungsäußerungen genauer unter die Lupe genommen.
Anspruch auf Nominierung?
Für viele Sportlerinnen und Sportler stellt die Teilnahme an den Olympischen Spielen ein absolutes Karrierehighlight dar.
Doch wie erfolgt eigentlich die Nominierung für Olympia und besteht unter Umständen gar ein Anspruch auf Nominierung?
Relevant für eine Nominierung sind insbesondere die Regelwerke des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). Dieser veröffentlicht Grundsätze zur Nominierung der Olympiamannschaft, die vorsehen, dass die deutschen Einzelsportverbände jeweils „sportartspezifische Nominierungskriterien“ aufstellen, die mit dem DOSB abgestimmt und von diesem verabschiedet werden müssen und die „das jeweilige nationale Auswahlverfahren“ regeln. Soll heißen, dass etwa der Deutsche Leichtathletikverband DLV, ausgehend von den Leistungen seiner Athletinnen und Athleten dem DOSB Vorschläge zur Nominierung erteilt, die dieser dann gegenüber dem Ausrichter der Spiele - dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) - verwirklicht.
Rechtliche Grundlage für einen möglichen Anspruch auf Nominierung für Olympia kann hiervon ausgehend ein vorvertragliches Schuldverhältnis mit dem DOSB sein. Denn weil eine endgültige Nominierung nach herrschender Ansicht als Vertragsschluss mit dem Verband angesehen wird, begründen bereits die Bemühungen, die vom DOSB aufgestellten Nominierungskriterien zu erfüllen, eine vorvertragliche Sonderverbindung nach § 311 II Nr. 2 BGB und damit ein Schuldverhältnis nach § 280 I BGB.
Vorvertragliche Schuldverhältnisse lösen zwar grundsätzlich nur Schutz- oder Rücksichtnahmepflichten nach § 241 II BGB aus, deren Verletzung gem. § 280 I BGB zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtet (das heißt zu ersetzen wäre der Schaden, der dadurch entstanden ist, dass auf das Zustandekommen des Vertrages vertraut wurde), begründen aber keine Erfüllungspflichten der Vertragspartner, also keinen Anspruch auf Nominierung. Abweichendes kann sich jedoch aus der Monopolstellung des DOSB ergeben, da dieser nach dem sog. Ein-Platz-Prinzip als einziger deutscher Verband über die Nominierung bestimmen kann. Folge dessen ist, dass dem DOSB bei der Nominierung nicht pauschal ein freies Ermessen zukommt. Vielmehr unterwirft er sich durch das Aufstellen der Nominierungsvoraussetzungen einer Selbstbindung, die aus Sicht des DOSB zu einem Kontrahierungszwang zu eigenen Lasten führen kann: Erfüllt die Athletin/der Athlet die aufgestellten Voraussetzungen, so steht ihr/ihm ein Anspruch auf Nominierung zu, sofern die zur Verfügung stehenden Plätze nicht bereits mit besseren Athletinnen oder Athleten belegt sind.
Soweit zur Theorie. In der Praxis hatten Versuche, einen Anspruch auf Nominierung einzuklagen, bisher – soweit ersichtlich – keinen Erfolg. Im Falle eines Leichtathleten wurde ein Anspruch auf Nominierung für Olympia 2008 verneint, weil dieser nach Ansicht des Gerichts die festgelegten Leistungskriterien nicht erfüllt hatte. Zuletzt versuchten zwei deutsche Boxerinnen vergeblich, eine einstweilige Verfügung auf Nominierung zu einem Olympiaqualifikationsturnier zu erlangen. Das LG Kassel wies die Anträge ab, weil der Deutsche Boxsport-Verband in seinen Richtlinien ausdrücklich festgelegt hatte, dass die bloße Erfüllung der Nominierungsvoraussetzungen noch keinen Anspruch begründe, sondern die eigentliche Nominierung durch ein Expertengremium erfolge.
Freistellung/Urlaub von Athletinnen und Athleten für die Olympischen Spiele
Sind die Sportlerinnen und Sportler erst einmal nominiert, so müssen sie ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen in Einklang mit ihrem Arbeitsverhältnis bringen.
Mediale Beachtung findet in diesem Kontext regelmäßig die mögliche Freistellung von Fußballprofis durch ihre Vereine. Vor den diesjährigen Spielen etwa war vorab ein Einsatz des französischen Superstars Kylian Mbappé kolportiert worden, der mit einer Teilnahme in seiner Heimatstadt geliebäugelt hatte. Sein neuer Arbeitgeber Real Madrid schob dem jedoch einen Riegel vor. Rechtlich steht dem kein Hindernis entgegen, weil die Olympischen Sommerspiele nach dem FIFA-Transferreglement nicht im internationalen Spielkalender aufgeführt sind, sodass – anders als etwa bei der EM oder WM – keine Abstellungspflicht besteht.
Doch wie sieht es in Deutschland bei anderen Sportarten hinsichtlich der Vereinbarkeit von Olympia mit einem bestehenden Arbeitsverhältnis aus?
In der Privatwirtschaft besteht keine Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zu sportlichen Zwecken freizustellen. Viele Athletinnen und Athleten dürften jedoch mit ihren Arbeitgebern individuelle Vereinbarungen getroffen haben, die es ihnen ermöglichen, für Trainingslager und Wettkämpfe freigestellt zu werden, etwa im Wege bezahlten Sonderurlaubs.
Häufig noch einfacher ist die Teilnahme an Olympia im Falle einer Anstellung beim Staat. So gibt es Sportfördergruppen bei Bundeswehr, Polizei und Zoll, wo die Freistellung für Olympia von dem Ziel umfasst ist, „die Vereinbarkeit von Spitzensport und Beruf durch die duale Karriere- und Laufbahnplanung“ zu gewährleisten, wie es etwa auf der Website der Bundeswehr heißt. Bei einer Verbeamtung ergibt sich die Freistellung sogar aus dem Gesetz: Nach § 17 I Nr. 1a Sonderurlaubsverordnung (SUrlV) ist unter Fortzahlung der Besoldung Sonderurlaub zu gewähren.
Meinungsäußerungen bei Olympia
Nach erfolgreicher Nominierung und Freistellung steht bei den Olympischen Spielen sodann der Sport im Mittelpunkt. Daneben sind die Spiele aber auch seit jeher politisch geprägt. Dieses Jahr dreht sich voraussichtlich vieles um den (Teil-)Ausschluss russischer und belarussischer Sportlerinnen und Sportler, die als Reaktion des IOC auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine nur unter neutraler Flagge antreten dürfen.
Dass politische Statements während großen Sportveranstaltungen eine beachtliche Aufmerksamkeit erzeugen können, bewiesen bei der EM zuletzt die Entwicklungen rund um den türkischen Spieler Merih Demiral. Dieser hatte im Achtelfinale gegen Österreich den Wolfsgruß gezeigt, das Zeichen der „Grauen Wölfe“, einer türkischen rechtsextremen und ultranationalistischen Organisation, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Der Fall wurde zum Politikum, die UEFA sperrte den Spieler für zwei Spiele.
Bereits vor der EM hatten wir hier anlässlich des Kündigungsschutzprozesses rund um Anwar El Ghazi, der nach seinen propalästinensischen Äußerungen von Mainz 05 fristlos gekündigt worden war, die arbeitsrechtlichen Implikationen von Meinungsäußerungen im Fußball beleuchtet. In seinem in der Zwischenzeit ergangenen Urteil erklärte das Arbeitsgericht Mainz die Kündigung für unwirksam und verpflichtete den Verein zur Nachzahlung von rund 1,7 Millionen Euro in Gehältern und Bonuszahlungen. Mainz 05 kündigte Berufung an und soll jüngsten Berichten zufolge zudem Vollstreckungsabwehrklage gegen die Nachzahlung eingereicht haben.
Anders als bei Profifußballern, die in einem Arbeitsverhältnis zu ihrem Verein stehen, müssen die deutschen Athletinnen und Athleten bei Olympia im Falle unliebsamer Meinungsäußerungen zwar nicht mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen des DOSB rechnen. Denn sie schließen mit dem DOSB lediglich eine Athletenvereinbarung ab (eine sogenannte „Team D-Vereinbarung“), in der sie sich zur Einhaltung der Regelwerke wie etwa der Anti-Doping-Bestimmungen verpflichten. Für eine Einordnung als Arbeitsvertrag fehlt es jedoch an einer regelmäßigen Vergütung bzw. einer hinreichenden Weisungsgebundenheit.
Gleichwohl können Meinungsäußerungen von anderer Seite empfindliche Konsequenzen haben. Denn in der Olympischen Charta des IOC, auf die die Athletenvereinbarung Bezug nimmt, sieht Regel 50.2 vor, dass „Demonstrationen jeglicher Art sowie politische, religiöse oder rassistische Propaganda in olympischen Stätten, Veranstaltungsorten oder anderen Bereichen“ nicht gestattet sind. Dies bedeutet insbesondere, dass Meinungsäußerungen bei offiziellen Zeremonien, wie Siegerehrungen oder der Eröffnungs- und Schlussfeier, auf dem Spielfeld und im Olympischen Dorf untersagt sind. Bei politischen Protesten, die als Verstoß gegen die Regel 50.2 gewertet werden, drohen u.a. der Ausschluss von den Spielen, die Disqualifizierung von Wettbewerben oder die nachträgliche Aberkennung von Medaillen.
Dabei liegt in den geltenden Regularien zu Meinungsäußerungen schon eine Lockerung zu vorherigen Spielen. Als Reaktion auf anhaltende Forderungen nach einer Abschaffung der „Rule 50“, die insbesondere auch im Zuge der Black-Lives-Matter-Protestbewegung 2020 aufkamen, nahm die IOC-Athletikkommission vor den letzten Sommerspielen in Tokio 2021 Anpassungen vor. Seitdem sind z.B. bei Pressekonferenzen, in der Mixed Zone, bei Teambesprechungen, in den sozialen Medien oder vor Beginn eines Wettkampfs Meinungsäußerungen grundsätzlich gestattet.
Ein Kniefall vor dem Spiel, wie ihn in der Vergangenheit einige Fußballteams als Protest gegen Rassismus vornahmen, ist seitdem etwa mit dem Regelwerk des IOC vereinbar. Weitergehende politische Meinungsäußerungen bleiben jedoch größtenteils untersagt, sodass mit Spannung zu erwarten ist, ob es angesichts der aufgeheizten politischen Lage weltweit ähnlich wie bei der EM auch bei den Olympischen Spielen zu einem Zwischenfall kommen wird, der eine Disziplinarmaßnahme des IOC hervorruft.